Ein Gastblog von Ralf Reitze (@Feiner reinster Buchstoff)

Über Neal Morse könnte ich Bände füllen. Der sehr aktive Endfünfziger hat Anfang der 90er Jahre mit Spock’s Beard der progressiven Musik frisches Leben eingehaucht. Die alten Helden Yes, Genesis, King Crimson oder Pink Floyd waren verbraucht und müde. Platten von Ihnen wiederholten die alten Erfolge. Anfang des Jahrtausends kehrte er Spock’s Beard den Rücken. Der christliche Glauben hatte ihn vollends gepackt, was in seinen Texten öfters zum Ausdruck kommt. Vielleicht für manchen Geschmack zu aufdringlich, aber musikalisch ist Neal Morse eine der wirklich Großen im Geschäft. Das zeigt sich auch an den vielen Nebenprojekten wie Transatlantic oder das hier vorzustellende Album von Flying Colors.

Supergroup

Progressive Rock hat bei den meisten den Geschmack von „Gefrickel“ und endlosen Solis. Lieder unter vier Minuten sind eine Seltenheit. Für den typischen Radiohörer ist solche Musik nichts, die Aufmerksamkeitsspanne ist beim Hören von Radio extrem niedrig. Doch es gibt progressive Musik, die mit einer guten Melodie fesseln kann. Obwohl die Lieder etwas länger als vier Minuten dauern.

Mit dem zweiten Album der „Supergroup“ Flying Colors, bestehend aus guten Musikern von verschiedenen Bands und einem sehr guten, etwas poppigen Sänger, ist das Konzept der radiotauglichen progressiven Musik aufgegangen. Die typischen Nerdfans werden mich steinigen. „Das ist doch nie Progressive!“. Aber wenn‘s einem schmeckt, ist es mir persönlich egal, wie du es nennst. Vorbei sind die Zeiten, wo Hörer ein Album komplett durcharbeiten, doch Second Nature sollte ein paar Mal rotieren (Falls ihr noch wisst, was ich damit meine :-).

Melodische Entdeckungsreise

Mit „Open Up Your Eyes“ beginnen Flying Colors mit einer über vier Minuten dauernden, instrumentalen Einleitung. Casey McPherson beginnt seinen Gesang und ich schmelze zum ersten Mal dahin. Er hat wirklich ein wunderschönes Timbre. Das Lied hat mehrere Teile, die auch sehr an Transatlantic erinnern. Ein gelungener melodischer und symphonischer Auftakt. Was hier und später auffällt, ist, dass die Gruppe spielt, als wäre sie seit Jahrzehnten zusammen. Ein Instrument gibt das andere, nichts sticht hervor. Alles klingt unglaublich harmonisch.

Mask Machine“ zieht im Tempo etwas an, hat einen schönen Groove und der Sänger kann auch mehr als dahin schmelzen. Spannend ist der raffinierte Mittelteil. Das Album ist perfekt gemischt und produziert. Hier sind Profis am Werk, ohne dass die Musik danach zu glatt wirkt. Im Gegenteil. Beim mehrmaligen Hören lassen sich immer wieder neue interessante Musikteile entdecken.

Bombs Away“ ist ein Song, der sehr trocken und voller Tempiwechsel ist. Interessant ist der „kansasartige“ Teil gegen Ende des Stücks. „The Fury Of My Love“ hat mich am stärksten umgehauen. Eine wunderschöne Ballade. Zu zweit anhören und sich dabei tief in die Augen schauen. Wunderbar ist der Einbau der Gitarre der dem Lied am Ende noch einmal einen Kick gibt. Einen Kick der so manches Auge nicht trocken lässt. „A Place In Your World“ ist im Vergleich zu den anderen etwas einfach gestrickt. Der Song kommt an die anderen nicht richtig ran.

Ist das Prog?

Lost Without You“ ist wieder eine Ballade mit einem schönen, weichen, melodischen Text und Refrain. Der Song gewinnt durch den mehrstimmigen Refrain. Ja, singen kann Neal Morse. „One Love Forever“ beginnt mit einem flotten irischen Folkrhythmus und steigert sich zu einem schönen Mitsingrefrain. „Peaceful Harbour“ ist eine großartige, soulige Hymne mit einer pathetischen Stimme, die teilweise zur Akustikgitarre singt. Manche sagen Kitsch, ich liebe solche Songs. Auch hier ist das Lied durchzogen von hochintelligenten Musikpassagen, die das Gefühl wunderbar untermalen und transportieren. Natürlich mit schwarzen Soulstimmen als Hintergrund. Wer da nicht mit offenem Mund dasitzt, dem kann ich nicht mehr helfen.

Cosmic Symphony“ ist ein grandioser Abschluss. Prog vom Feinsten. Mit vielen verschiedenen Melodiebögen und Tempiwechseln. Hier zeigt jeder Musiker seine Klasse, ohne die Geschlossenheit zu verlassen. Ein würdiges Ende eines kompakten, schlüssigen und erfrischenden Albums!

Das Album gibt es ebenfalls als Deluxe Edition, mit alternativen Akustikversionen von Peaceful Harbour und The Fury Of My Love, die jeden Cent wert sind. Die Liveplatten von Flying Colors zeigen die große Intensität und Spielfreude der Gruppe. Und das spürt der Hörer bei jedem Ton. Ist das Prog? Ist mir egal was es ist. Für mich war es jedenfalls mein Highlight des Jahres 2014.

 


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Ich freu mich auf dich!



 

Flying Colors – Second Nature

Genre:Rock
Stil:Progressive Rock, Alternative Rock
Jahr:2014
Anzahl Titel:9
Laufzeit:65:58

Tracklist

Open Up Your Eyes12:24
Mask Machine6:06
Bombs Away5:03
The Fury of My Love5:10
A Place in Your World6:25
Lost Without You4:46
One Love Forever7:17
Peaceful Harbor7:01
Cosmic Symphony11:46