„40 Euro für ein Bandshirt??“. Abwägen. Auf die Uhr schauen. Durchgeschwitzt. Das Shirt sieht gut aus, aber 40 Euro? Ich kratze mein letztes Bargeld zusammen und kaufe es. „Dat gibbet aber nur in ’ner Universalgröße!“. Der Verkäufer greift sich mein Geld und überreicht mir das Shirt. Ich falte es auf und prüfe die Größe mit einem kritischen Blick. „Mindestens XXXL“, denke ich mir und bereue den Kauf meines teuersten Bandshirts aller Zeiten umgehend. Das kann ich nicht mal durch Waschen einlaufen lassen. 2002 hatte das Konzert der Foo Fighters im Palladium in Köln am Ende somit ein negatives Erlebnis für mich. Einige Jahre zuvor trat die Band mit einer wahren Sahneplatte in mein Leben. Heute stehen die Foo Fighters zu Recht auf den großen Bühnen, auf denen sie spielen. Dabei war es fast vorbei, bevor es richtig anfing.

Die Foo Fighters als Emanzipation

Wer die Foo Fighters erst in den letzten Jahren entdeckte, kann sich nicht vorstellen, dass diese Band einst für 500 Dollar pro Abend als Vorband auf Punk- und Alternativekonzerten spielte. Dave Grohl hatte nach dem Tode Kurt Cobains im Jahre 1994 das Stigma des „ewigen Nirvana-Drummers“ inne. Ein halbes Jahr später ging er mit einem Dutzend Songs ins Studio und versammelte ein paar Bekannte um sich, seine Songs einzuspielen. Die Rhythmusgruppe um Nate Mendel am Bass und William Goldsmith an den Drums kamen von der frisch aufgelösten Emo-Band Sunny Day Real Estate. Pat Smear, Tour-Gitarrist von Nirvana, agierte als zweiter Mann an der Gitarre. Dave Grohl trat ins Rampenlicht und tauschte Drumsticks gegen Mikrofon und Gitarre.

Gemeinsam spielten sie das selbstbetitelte Debütalbum der Foo Fighters ein und führten ein bewusstes Dasein im asketischen Abstand zu Nirvana. Dies fiel schwer genug, emanzipierten sich die geschriebenen Lieder von Grohl nicht richtig vom Grunge und Songwriting Kurt Cobains. Im Nachhinein betrachtet Dave Grohl The Colour And The Shape als das „eigentliche Debüt-Album“ der Foo Fighters. Alle vier Bandmitglieder wurden ins Songwriting einbezogen, einzig die Lyrics blieben komplett in der Hand von Grohl. In den Liedern verarbeitet er sehr offensichtlich die Trennung von seiner damaligen Ehefrau Jennifer Youngblood. Mit Ende 20.

Nicht Kurt Cobain

Die Songs auf The Colour And The Shape sind abwechslungsreicher und verspielter. Harter, melodischer Alternative-Rock (Monkey Wrench, Hey, Johnny Park!, My Hero, Enough Space) wechselt mit reduzierten, ruhigen Balladen (Doll, See You, February Stars, Walking After You). Über allem steht Everlong. Dave Grohl bezeichnet ihn in einem Interview von 2004 als „den besten Song, den er je geschrieben hat“. Ich kenne niemanden, der sich diesem melancholisch-kraftvollen Stück entziehen kann. Mitsingen inklusive. Das dazugehörige Musikvideo ist wunderbar umgesetzt von Michel Gondry (kennen wir von seinen Werken für Daft Punk). Gondry verarbeitet im Video zu Everlong seine Kindheitsalbträume, surreal umgesetzt mit den einzelnen Bandmitgliedern. Unbedingt anschauen!

Ich persönlich liebe The Colour And The Shape. Auch wenn ich eine besondere Beziehung zum Nachfolger There Is Nothing Left To Loose habe, finde ich dieses Album das eingängigste und abwechslungsreichste der Band. Ein besonderes Lieblingsstück ist der letzte Song New Way Home mit seiner Tempoexplosion am Ende.

Wachstumsschmerzen

Mit der Tour zu The Colour And The Shape begann die Band vor größerem Publikum aufzutreten. Dave Grohl schaffte es, die Fesseln von Nirvana zu lösen und die Foo Fighters als eigenständige Band zu platzieren. Allerdings nicht ohne „Wachstumsschmerzen“. Grohl, zu verbissen im Anfangsstadium seiner eigenen Bandkarriere, zeigte wenig Vertrauen in die Künste von Schlagzeuger William Goldsmith und spielte die Drumspuren für The Colour And The Shape komplett selbst neu ein. Ein Vertrauensbruch, den William Goldsmith zum Verlassen der Band noch vor Veröffentlichung des Albums veranlasste. Pat Smear bedauerte Jahre später Goldsmiths Position von damals:

„Du bist Schlagzeuger einer Band, deren Frontmann der aktuell größte Rock’n’Roll-Drummer der Welt ist. Der dir ständig über die Schulter schaut und darauf wartet, dass du so gut wirst wie er. Und so sehr du dich abstrampelst – es reicht nie. William war fast noch ein Kind, und er stand unter enormen Druck.“ Pat Smear, 2011

Auch Dave Grohl bedauerte Jahre später sein Verhalten von damals. Nicht genug, so stieg auch Pat Smear noch vor der Tour zum Album aus. Zu gezeichnet von den späten Nirvana-Jahren, wurden die Foo Fighters für ihn damals zu groß. Erst 2011 kehrte er geerdet für das Album Wasting Lights zurück. So war es 1997 fast vorbei, bevor es richtig begann. Langfristigen Ersatz am Schlagzeug fand Grohl seinerzeit in Taylor Hawkins, vormals Live-Drummer bei Alanis Morissette. Franz Stahl, ein Gitarrist aus Grohls früheren Band Scream, komplettiete für die Tour das Bandsetup.

Wie Moses durchs Meer

Das Bandshirt für 40 Euro nutze ich seither als Schlafanzug. Schnitt und Größe sind nicht für tageslichttaugliche Aktivitäten geeignet. Ein totaler Fehlkauf, der mich seitdem an Merchandisingständen vorsichtig agieren lässt. Das Konzert von damals wird mir immer positiv im Gedächtnis bleiben. Eines meiner energiegeladensten Live-Erlebnisse. Kein Song stand ich am selben Platz, ich war Teil einer einzigen springenden und tanzenden Masse.

Vorm letzten Song Breakout war ich mittlerweile in einer der hintersten Reihen des Palladiums angekommen. Als Grohl die ersten Töne anstimmte, sah ich eine meiner Konzertbegleitungen in einer Traube Menschen. An mir vorbei, explosiv nach vorne „diffundierend“. Ein Anblick gleich einem biologischen Prozess. Er packte mich, zog mich mit und nach handegstoppten 71 Sekunden spuckte uns die Menschentraube in der ersten Reihe vor der Bühne aus. Ich konnte Dave Grohl die Schuhe binden. Die restlichen zwei Minuten waren Ekstase, danach ein dankender Augenkontakt zur Bühne. Am Ende raubte mir dies womöglich die nötige Objektivität vor dem Merchandisingstand. Zu charmant die Kerle.

 

Anspieltipps: Everlong, My Hero, Walking After You, New Way Home

Höre ich dann am liebsten: von hinten nach vorne in 71 Sekunden

 



 

Foo Fighters – The Colour And The Shape

Genre:Rock
Stil:Alternative Rock
Jahr:1997
Anzahl Titel:13
Laufzeit:46:47

Tracklist

Doll1:23
Monkey Wrench3:51
Hey, Johnny Park!4:08
My Poor Brain3:33
Wind Up2:32
Up in Arms2:15
My Hero4:20
See You2:26
Enough Space2:37
February Stars4:49
Everlong4:10
Walking After You5:03
New Way Home5:40