Ein Gästeblog von Ralf Reitze (@Feiner reinster Buchstoff)

Es ist nie zu spät gute Musik zu entdecken. Was habe ich meine Kinder beneidet. Nicht wegen ihrer Jugend. Nein, wegen der ganzen schönen Dinge die sie noch entdecken können. Auch Musik. Neue Musik, die Dir plötzlich dieses Gänsehautgefühl vermittelt. Musik bei der du mit offenem Mund dastehst und das Gefühl hast, etwas noch nie Dagewesenes zu erleben. Für dieses Gefühl wirst du alles tun. Weite Wege gehen. Dich zehn Stunden in einem Plattenladen aufhalten, die hintersten Ecken durchstöbernd. Auch wenn man schon so vieles kennt, ist es eben nie zu spät, um faszinierende, musikalische Momente zu erleben. So einen Moment erlebte ich vor drei Jahren, als ich Motorpsycho entdeckte.

Gehobener Schatz

Müßig sich zu überlegen, warum ich sie nicht schon längst vorher entdeckte. Es gibt sie immer noch, diese Nischen der Musik, in denen sich Juwelen verstecken. Bei Motorpsycho hatte ich das Gefühl, einen ganzen Schatz zu heben, denn alle anderen Platten von ihnen sind immer anders und außergewöhnlich. Und, sie haben viele Platten in ihrem Bandleben eingespielt.

Motorpsycho spielen immer noch. Der Name der norwegischen Psychedelic-Prog-Metal-Band rührt von einem Film von Russ Meyer her. Schon hier zeigt sich der Humor der Band, den sie in vielen Aufnahmen und auf Konzerten bewiesen. Doch es soll jetzt weniger um die Band, als um das Album gehen. „Trust us“.

Vom Cover her wirkt Trust Us minimalistisch. Ein angedeuteter Rennfahrer in einem älteren Boliden. Alles lediglich stilistisch angedeutet, ein komplett weißer Hintergrund, der Boden ein Mischmasch von Farben. Keine Konturen, nur der Wagen mit Fahrer sind gerade so zu erkennen. Es sieht aus, wie durch einen drogenverhangenen Blick. Genau so ist auch die Musik auf der Platte.

Facettenreichtum bei einem Glas Wein

Das Doppel-Album geht auf der ersten Platte los mit „Psychonaut“. Eine Minute wabert die Musik unentschlossen, langsam aus dem Dunst. Dann hämmert ein Klavier. Ein monotones Stakkato. Der Sänger singt hypnotisch die Worte: „And I‘ll feed you the lies that you wanna hear, And I’ll kick you around till you eat your fear, And I’ll sing any song that I want to sing, And I know if I want I’ll be anything„. Eine Gitarre wiederholt den gleichen Riff, ein Schlagzeug setzt ein, dann bricht ein hypnotisches, psychedelisches Inferno über den Hörer. Man fühlt sich in die 60er Jahre zurückversetzt. Diese Musik muss man zu Hause in Ruhe, bei einem Glas Wein oder anderen Zutaten genießen. Oder bei der Fahrt durch eine neblige Landschaft, es treibt dich, es zerfranst deine Synapsen. Bis es am Schluss blubbernd in die Ursuppe zurückkehrt aus der es kam.

Gleich beim zweiten Lied hört man, wie abwechslungsreich Motorpsycho sind. „Ozone“, das zweite Lied, ist von harten akustischen Gitarren begleitet. Klarer, strukturierter, ein richtiger psychedelischer Rocksong. Der dritte Song „The Ocean In Her Eye“ beginnt verhalten wie das erste Lied. Man hat aber immer das Gefühl, es lauert was im Hintergrund. Nichts Böses, aber etwas Großes, Starkes, Mächtiges. Dieser Song entwickelt eine verhaltene Kraft, die so typisch für die sehr guten Lieder von Motorpsycho sind. Eine Kraft, die nie richtig ausbricht, aber einen durch die Lieder führt und die Spannung aufrechterhält.

Erschöpfung

Vortex Surfer“ ist der Höhepunkt, für viele auch das beste Lied von Motorpsycho. Ausgehend von einem Glockenspiel, langsam steigernd mit Gitarre und Gesang. Bis es zum Ausbruch kommt. Fast klagend führt die Stimme durch das Lied:

„And if she said so, that would change it all, If she said so, I would cushion her fall, And if it felt right, she’d let me know the plan, Take my hand, and explain to me so I could understand, why she said so“

Textauszug Vortex Surfer, 1998

Man spürt im Laufe des Liedes die Klage, den Schmerz, des Sängers. Die letzten Worte ein heiserndes Schreien. Ein emotionaler Höhepunkt der Platte. Danach fühlt man sich erschöpft, ermattet von dem Mitleiden. Nach einer kurzen Klangcollage endet die erste Platte mit einem, durch einen schleppenden, basslastigen Rhythmus getragenen Lied. Aufgelockert durch beide Stimmen der Band. Ein bisschen klingt das nach Black Sabbath. Wobei Motorpsycho ist unverwechselbar und klingt nach Motorpsycho.

Alles muss mit

Die zweite Platte ist lockerer, poppiger. Zwar mit psychedelisch-verfremdeten Gitarren beladen, aber hier steht mehr der Song im Vordergrund. Viel Mellotron gibt es bei den Liedern „Mantrick Muffin Stomp“ oder „Radiance Freq.“. Letzteres schwebt heran, bis es von den Gitarren aufgebrochen wird.

Herauszuheben auf der zweiten Platte ist das schräg gesungene „Superstooge“, was in jammenden Instrumenten endet. Alles hier klingt sehr nach Led ZeppelinsPhysical Graffiti“. Allerdings wilder, kraftvoller und jazziger. „Hey Jane“ ist eine wunderschöne Powerballade, die Motorpsychos Melodiekompetenz zeigt. Insgesamt ist die zweite Platte etwas schwächer als die erste. Im Vergleich jedoch, sehr gut vs. phänomenal.

Trust Us war mein erster Zusammenstoß mit Motorpsycho, danach musste ich mich durch alle Alben und Lieder hören. Keine Platte ist mit einer anderen vergleichbar. Ausfälle gibt es für mich gar nicht. Motorpsycho schaffen Songs für die Ewigkeit. Trust us ist aber DER Überflieger, der mir immer noch wohlige Schauer im Ohr und auf den Armen schafft.

 

Unnützes Kneipenwissen: Der Song „Vortex Surfer“ wurde auf dem norwegischen Radiosender „P3“ zu Silvester 1999 nonstop gespielt. 24 Stunden lang. Der Norweger ist stolz auf sein Kulturgut…

 

Anspieltipps: Vortex Surfer, Psychonaut, Ozone, Hey Jane

 



 

Motorpsycho – Trust Us

Genre:Rock
Stil:Psychadelic Rock, Progressive Metal
Jahr:1998
Anzahl Titel:14
Laufzeit:81:36

Tracklist

Psychonaut6:58
Ozone4:33
The Ocean In Her Eye9:15
Vortex Surfer8:59
Syddhardtino1:37
5777:48
Evernine5:07
Mantrick Muffin Stomp3:50
Radiance Frequency10:21
Taifun7:09
Superstooge6:48
Coventry Boy2:32
Hey, Jane5:14
Dolphin1:25