Am 05. Juni 1975 betrat ein junger Mann die Abbey Road Studios in London. Bepackt mit einer Plastiktüte, stand er unbeteiligt in der Nähe der Mischpulte und starrte auf die Szenerie. Er sagte nichts. Sein äußeres Erscheinungsbild war unauffällig bis erschreckend. Blass, übergewichtig, kahlgeschorener Kopf und Augenbrauen. Niemand der anwesenden Personen nahm Notiz von ihm. Pink Floyd arbeiteten an dem finalen Tonmix ihres bald erscheinenden Albums „Wish You Were Here„. Der darauf enthaltene Song „Shine On You Crazy Diamond“ erhielt seinen letzten Schliff. Bassist Roger Waters bemerkte den Besucher nicht. Keyboarder Richard Wright und Sänger David Gilmour dachten, es wäre ein Bekannter der Toningenieure oder des Plattenlabels. Schlagzeuger Nick Mason nahm ebenfalls keinen Anteil an der Szenerie.

Plötzlich durchfuhr es Gilmour und er beendete schlagartig seine Arbeit. Er rief etwas zu Mason, worauf diesem Tränen in die Augen schossen. Schlagartig erfror der Moment. Der Besucher lauschte teilnahmslos den Tonspuren des Songs, ohne zu verstehen, um was es in dem Song geht. Ein Anwesender ging auf ihn zu und fragte ihn, was mit ihm sei und was er von der Musik hielte? Er habe einen Kühlschrank in seiner Küche, darin gäbe es viel Schweinefleisch. Zur Musik sagte er nichts. Es fielen ein paar weitere zusammenhangslose Worte, er putzte sich die Zähne und verschwand. Ohne sich zu verabschieden. Niemand von Pink Floyd, sah Syd Barrett je wieder. Das Gründungsmitglied und ursprüngliche Sänger der Band starb vereinsamt und zurückgezogen am 07. Juli 2006 in Cambridge.

Genie und Wahnsinn

Diese Geschichte ist heute ein Mythos der Musikhistorie. Syd Barrett war in jungen Jahren ein fröhlicher, lustiger, extrovertierter und sehr gutaussehender Mann. Mit Pink Floyd veröffentlichte er bis zu seinem Ausstieg 1968 die beiden Debütalben The Piper At The Gates Of Dawn (1967) und A Saucerful Of Secrets (1968). Er konsumierte regelmäßig LSD, was seinen Gemütszustand zusehend veränderte. Barrett wurde unzuverlässig, unstet und litt unter manisch-depressiven Gefühlsschwankungen. Eine psychische Erkrankung war die Folge, manche vermuteten eine  Schizophrenie. Temporärer Gedächtnisverlust und tagelange Abwesenheit belasteten die Arbeit mit der aufstrebenden Band. Diese war unter diesen Umständen gezwungen, sich von Syd Barrett zu trennen. Eine Trennung mit Nebengeräuschen.

Syd Barrett verwand seinen Rauswurf nie. Er tauchte weiterhin ungefragt bei Konzerten auf und starrte ohne Regung die ganze Zeit auf die Band. Er versuchte sich erfolglos als Solomusiker. Sein mentaler Zustand gewährte ihm keine geregelte, kreative Arbeit. Erst Jahre später gelang es Pink Floyd, mit Syd Barrett abzuschließen. Am Ende dieses Prozeses, schrieben sie eine Hommage an den einstigen kreativen Kopf der Band. Shine On You Crazy Diamond ist ein warmes Lebewohl an die Person Syd Barrett und zugleich ein Meisterwerk progressiver Rockmusik. Neun Songfragmente vereinen sich auf 25 Minuten und ergeben ein atmosphärisches Meisterwerk. Wenn Gilmour nach knapp vier Minuten erstmals die Gitarrensaiten anschlägt, ist das pure Gänsehaut. An jenem Sommertag im Jahr 1975 war es für Syd Barrett nicht ersichtlich, dass er der besungene „Crazy Diamond“ ist.

Meisterwerk

Dank des immensen Outputs von Pink Floyd zu Beginn der 1970er-Jahre ist Wish You Were Here das neunte Studioalbum. Zudem der Nachfolger zum Welterfolg „Dark Side Of The Moon“ von 1973 (zweitmeist verkauftes Album der Musikgeschichte). Nur fünf Songs (eigentlich vier, Shine On You Crazy Diamond ist auf dem Album geteilt) auf 44 Minuten. Für mich ist dieses Meisterwerk schlichtweg nicht zu fassen. Es ist unglaublich, wie viele Gemütszustände und Gefühlswelten Pink Floyd mit nur fünf (vier) Songs schaffen. Die Wärme und Umarmung von Shine On You Crazy Diamond kontert Welcome To The Machine in direktem Gegensatz mit purer Kälte. Have A Cigar kratzt, stampft und klagt gemeinsam mit dem vorplatzierten Song das Gebaren der Plattenindustrie an.

Was ich über den Titeltrack Wish You Were Here schreiben soll, weiß ich gar nicht. Für mich ist er einfach eines der größten Lieder aller Zeiten. Unzählige Male auf Milliarden Akustikgitarren gespielt. Alleine die Überleitung mit dem Radioprogramm und Gilmour, der die ersten Harmonien daraufhin nachspielt ist großartig. Diesen Song nicht laut mitzusingen ist unmöglich. Trotz der Heterogenität der einzelnen Lieder ist das Album rund, harmonisch und eingängig. Eine Reise durch Gefühlswelten in der Umarmung von Shine On You Crazy Diamond.

Lasst euch Zeit

Eigentlich bin ich kein großer Freund von progressiver Musik. Songs die endlos dauern und nicht zum Punkt kommen öden mich schnell an. Pink Floyd sind für mich besonders und unterstreichen damit ihren weltweiten Erfolg als eine der einflussreichsten Gruppen der Geschichte. Ihre Musik ist nicht einfach und definitiv nicht für das „schnelle Ohr“ geeignet. Sie erfordert Zeit, Auseinandersetzung und Aufmerksamkeit. Wer ihr dieses schenkt, versteht, warum niemand diese Band in Ansätzen nachahmen kann.

Die Entstehungsgeschichte des Albums ist im 2012 erschienenen Dokumentarfilm „The Story Of Wish You Were Here“ hervorragend inszeniert. Auch der Besuch Syd Barretts wird thematisiert und fotografisch dokumentiert. In regelmäßigen Abständen läuft der Film auf arte oder 3sat. Kann ich wärmstens empfehlen. Das einzig aufgenommene Foto von Syd Barrett aus den Abbey Road Studios möchte ich euch nicht vorenthalten.

 

Syd Barrett - Wish You Were Here Sessions

Syd Barrett bei den Wish You Were Here Sessions 1975

Unnützes Kneipenwissen I: Das Cover zu Wish You Were Here wurde, wie alle anderen Albumcover von Pink Floyd auch, von Storm Thorgerson kreiert. Seine Werke gelten unter Designern als stilbildend. Hier treffen sich zwei Stuntmen (Ronnie Rondell und Danny Rogers) in den Warner Bros. Studios in Kalifornien und inszenieren einen Handschlag. Rondell steht dabei in Flammen. Selbstverständlich in echten Flammen. Leider blies während der ersten Aufnahme der Wind aus der falschen Richtung, so dass sich Rondell seinen Schnurrbart verbrannte. Für die zweite Aufnahme hatte der Fotograf aufgrund der Hitze lediglich einen kurzen Augenblick Zeit, so tauschten beide Darsteller die Seiten und das Foto wurde in der Endbearbeitung gespiegelt.

Unnützes Kneipenwissen II: Am Ende von Wish You Were Here, kann der besonders aufmerksame Hörer in den Windgeräuschen ein leises Geigenspiel ausmachen. Dieses stammt von Stéphane Grappelli, der im Nebenstudio zum Zeitpunkt der Aufnahme Pink Floyds ebenfalls reüssierte. Die Gage für seine Aufnahme betrug schmale 300 Pfund. Teil dieses Liedes zu sein? Unbezahlbar.

… so viel zu erzählen …

Unnützes Kneipenwissen III: Have A Cigar wurde 2000 von den Foo Fighters gemeinsam mit Brian May für den Soundtrack von „Mission Impossible 2“ gecovert. Schlagzeuger Taylor Hawkins singt, Dave Grohl trommelt.

Unnützes Kneipenwissen IV: Der Name „Pink Floyd“ setzt sich aus zwei amerikanischen Bluesmusikern zusammen (Pink Anderson und Floyd Council). In der Muppet Show gibt es in der Showband eine pinke Figur mit dem Namen „Floyd“. Was auch sonst …

 

Anspieltipps: nicht anspielen, durchhören!

Höre ich dann am liebsten: wenn ich mich nicht weiß, wie ich drauf bin

 



Pink Floyd – Wish You Were Here

Genre:Rock
Stil:Classic Rock, Progressive Rock
Jahr:1975
Anzahl Titel:5
Laufzeit:44:28

Tracklist

Shine On You Crazy Diamond (Pt. 1-5)13:31
Welcome To The Machine7:31
Have A Cigar5:08
Wish You Were Here5:34
Shine On You Crazy Diamond (Pt. 6-9)12:23