Ende des vergangenen Jahrtausends war die Zeit einer großen Erfindung. Einer technischen Neuerung des kleinen Mannes. Neben Mobiltelefon, Emailadresse und Flachbild-TV. Der CD-BRENNER. In deren Jugend, rotteten sich meine Eltern zu Fußballspielen bei demjenigen zusammen, der einen Fernseher (Gott bewahre!) besaß. Ich belagerte einen Freund, der in seinem Computer einen CD-Brenner installierte. Tiefer möchte ich an dieser Stelle nicht gehen. Wir haben selbstverständlich das Gerät nicht für irgendwelche illegale Handlungen genutzt. Alleine das Geräusch beim Einschalten des Laufwerks bereitete uns glückliche Nächte. Ich kann nichts dafür, in eine Generation des Raubkopierens geboren zu sein. Kassetten, Disketten, CDs, DVDs … alles habe ich mir stets legal gekauft und auch niemals zur Vervielfältigung bereitgestellt … Jedenfalls spuckte der besagte CD-Brenner eines Tages eine („originale“) Musik-CD aus dem Laufwerk. „Californication“ der Red Hot Chili Peppers verließ meinen alten Ford Fiesta auf Jahre nicht mehr.

Exodus

Am 7. Mai 1992 konnte John Frusciante nicht mehr. Ausgezehrt vom Drogenkonsum, verkündete er seinen Austritt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt erst 22 Jahre alt, hatte er den Erfolg der Red Hot Chili Peppers in den vergangenen Jahren maßgeblich beeinflusst. Das Album „Blood Sugar Sex Magik“ katapultierte die Band zu weltweitem Erfolg und gilt heute als Meisterwerk des Funk Rock. Vor Frusciante waren die Red Hot Chili Peppers eine Funkband mit kleineren Achtungserfolgen, bekannt vor allem an der Westküste der Vereinigten Staaten. Deutlich jünger als seine Bandkollegen, passte er mit seiner sensiblen Art nicht unbedingt in das Bandgehabe aus „dicker Hose“ und exzessivem Lebensstil. So zog er einen Schlussstrich, der bei seinen Bandkollegen Anthony Kiedis, Michael Balzary und Chad Smith ein Vakuum hinterließ. Auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Karriere.

Während die Red Hot Chili Peppers mit Dave Navarro (vormals Janes Addiction) einen neuen Gitarristen und 1995 ein neues Album („One Hot Minute“) veröffentlichten, zog sich John Frusciante komplett zurück. Der Tod seines Freundes River Phoenix 1993 ließ ihn noch tiefer in die Heroinsucht abrutschen. Er widmete sich verstärkt abstrakter Malerei. An Musik arbeitete er noch sporadisch. Erst 1997, nach mehrfachen Entzugsversuchen, überwand er seine Drogensucht. Physisch und psychisch geheilt, bot er den alten Bandkollegen seine Mitarbeit an einem neuen Album an. Die Red Hot Chili Peppers kickten umgehend Dave Navarro und vereinten die erfolgreiche Besetzung von Blood Sugar Sex Magik.

„Take me to the Otherside“

Nicht nur Frusciante, auch die drei anderen Bandmitglieder überwandten in diesen Tagen diverse körperliche und seelische Qualzustände. Waren die vergangenen Jahre geprägt von Exzess und Richtungslosigkeit, sollte das neue Album den Selbstreinigungsprozess krönen. Sie entrümpelten Balzarys Garage und begannen mit den Aufnahmen zu Californication. 1999 erschienen, prägt mich dieses Album bis heute. Nachdenklich, selbstreflektiert, erwachsen. Niemand hätte damals den Red Hot Chili Peppers ein solches Album zugetraut. War Blood Sugar Sex Magik die perfekte Party-Platte, so ist Californication das Reifezeugnis.

Die erste Single, „Scar Tissue„, fand ich seinerzeit sogar etwas langweilig. Als dann aber „Around The World“ und vor allem „Otherside“ erschienen, musste der Silberling in meinem Auto leiden. Nicht unbedingt Songs für die Party, aber in jedem Fall für den Weg dahin und nach Hause. Vor allem Otherside – nie wieder konnten wir so schmerzerfüllt mitschmettern und gedankenverloren tanzen. Der Song ist perfekt, ausgestattet mit dem passenden, surrealistischen Musikvideo. „Road Trippin‘“ ist der Kaminanzünder, „Saviour“ der Abend mit guten Freunden. Alles in allem ist die Platte rund, trotz stellenweise mangelhafter Tonqualität aufgrund der Übersteuerung der Töne im Bereich der hohen Frequenzen. Eine Unachtsamkeit Rick Rubins, ansonsten Produzent von Weltruf?

John Frusciante drückt Californication seinen Stempel auf und gibt dem Album mit seinem Gitarrenspiel Raum und Tiefe. Der berühmte Slap-Bass von Michael („Flea“) Balzary verliert etwas Prominenz, harmoniert allerdings hervorragend und trägt die gesamte Rhythmusgruppe. Selbst die Gesangsleistung von Anthony Kiedis, der ich ansonsten kritisch gegenüberstehe, war nie besser, als auf Californication. Insofern ist das Album der Wendepunkt für die Band und die Messlatte für alle darauffolgenden Werke bis zum heutigen Tag.

Mit 60 PS in den Sonnenuntergang

Heute besitze ich keinen CD-Brenner mehr (ihr etwa?). Liebe das Album aber nach wie vor abgöttisch. Lange habe ich überlegt, ob Californication oder Blood Sugar Sex Magik die erste Platte der Red Hot Chili Peppers auf sahneplatten.de sein soll. Nun habe ich mich entschieden. Und sie sogleich aufgelegt, während ich diese Zeilen schreibe. Hört sich gut an. 2009 verließ Frusciante abermals die Red Hot Chili Peppers. Glücklicherweise gesund und in einem Zustand innerer Ausgeglichenheit. Seine Solowerke erfahren regelmäßig Lob von Fans und Kritikern. Sein Zuhause ist die Avantgarde, die dem einstigen „Gitarren-Wunderkind“ ausreichend Raum zur Entfaltung bietet. Möge der Exzess vergangener Tage in meinem alten Ford Fiesta im Nirvana umherfahren. „Road trippin‘ with my two favorite allies …“

 

Unnützes Kneipenwissen I: Das Wort „Californication“ ist ein Portmanteau des englischsprachigen Namens des US-Bundesstaats Kalifornien sowie des englischen Wortes für „Unzucht“ („fornication“).

Unnützes Kneipenwissen II: Michael (Flea) Balzary, war Schüler auf der Fairfax High School in Los Angeles. In deren Turnhalle drehten Nirvana 1991 das Video zu „Smells Like Teen Spirit„. Auch Slash von Guns ’n‘ Roses ging hier zur Schule.

… ja, und? …

Unnützes Kneipenwissen III: 2005 startete eine Online-Petition, die eine technische Überarbeitung des Sounds von Californication forderte. Die Petition lief 2014 erfolglos aus.

 

Anspieltipps: Otherside, Around The World, Road Trippin‘, Saviour, Purple Stain

Höre ich dann am liebsten: auf dem Weg zu irgendeinem 18. Geburtstag

 



Red Hot Chili Peppers – Californication

Genre:Rock
Stil:Alternative Rock, Funk Rock
Jahr:1999
Anzahl Titel:15
Laufzeit:56:17

Tracklist

Around the World3:58
Parallel Universe4:30
Scar Tissue3:37
Otherside4:15
Get on Top3:18
Californication5:21
Easily3:51
Porcelain2:43
Emit Remmus4:00
I Like Dirt2:37
This Velvet Glove3:45
Savior4:52
Purple Stain4:13
Right on Time1:52
Road Trippin'3:25