Die Grenze zwischen schön und peinlich ist oft eine sehr schmale. Besonders bei Musik. Da gibt es Songs, die man in der Öffentlichkeit hartnäckig negiert, aber auf einer alleinigen Autofahrt laut aufdreht und inbrünstig mitschmettert. Bei Kindern ist dieses Verhalten der „sozialen Kredibilität des Bevorzugten“ glücklicherweise kaum ausgeprägt. Jungs schauen, ganz achselzuckend zur Genderdiskussion, „Die Eiskönigin“ oder wünschen „My Little Pony“ (Gott sei Dank ist das vorbei!). Für Emil gibt es derzeit einen Song, den er mit wahrer Inbrunst verlangt. Auf Autofahrten am späten Nachmittag im nassgrauen Januar, ist er wahrlich kein Energiespender.  Machste nix. Emil im Schmusemodus. Ich war mir bei Kiss From A Rose von Seal nie sicher, was ich von dem Song halten soll. Für mein 16-jähriges Ich definitiv zu seicht und gefühlsbetont. Heute schwankt er in meiner „sozialen Kredibilität des Bevorzugten“.

In die Ecke

Henry Olusegun Olumide Adeola Samuel erblickt 1963 in London das Licht der Welt. Als Sohn einer nigerianischen Mutter und eines brasilianischen Vaters. Rhythmus im Blut als genetische Zwangsverpflichtung. In den 1980er-Jahren verdingt er sich als Sänger in diversen, semi-erfolgreichen Funkbands. Nicht sonderlich wahrgenommen, tingelt er von Auftritt zu Auftritt und schläft zeitweise, in Ermangelung einer festen Wohnung, auf der Couch eines Freundes. Gegen Ende des Jahrzehnts lernt er den britischen DJ und Produzent Adamski kennen, der Bedarf an einem Sänger für einen Song hat. Killer erscheint 1990 und katapultiert Seal über Nacht ins Musikfernsehen. Der Song geht auf #1 in Großbritannien und bringt Seal zu einer weiteren, wichtigen Bekanntschaft. Produzent Trevor Horn, Garant für erfolgreiche Popmusik in den 80ern (Buggles, Frankie Goes To Hollywood), möchte mit ihm ein Album produzieren.

Das selbstbetitelte Debüt erscheint 1991 und pflanzt direkt den ersten Hit. Crazy gehört zu den erfolgreichsten Singleauskopplungen des Jahres. Für mich, neben Killer, der beste Song, bei dem Seal seine Finger im Spiel hat. Drei Brit Awards schreien nach einem Nachfolgealbum, welches 1994 veröffentlich wird. Seal II enthält einen Song namens Kiss From A Rose, der anfangs eher weniger prominent auf dem Album platziert wird. Seal mag den Song nicht besonders. Er schreibt und singt ihn bereits 1988 ein, schmeißt ihn aber „sofort in die Ecke, weil er ihm peinlich erscheint“.

Erst bei den Aufnahmen zu Seal II zeigt er ihn, widerwillig, Trevor Horn. Dieser entschließt, ihn neu zu produzieren und aufs Album zu nehmen. Anfangs erfreut sich der Song keiner besonderen Popularität, bis er ein Jahr später auf dem Soundtrack zum Film Batman Forever (mit Val Kilmer) landet. Kiss From A Rose explodiert. Drei Grammys und acht Millionen verkaufte Singles später, ist Kiss From A Rose der erfolgreichste Song, den Seal veröffentlichte. Batman hat mal wieder die Welt gerettet.

Filmeabend

Ich kann mir selbst gegenüber nicht klar beantworten, wie ich den Song finde. Einerseits ist er mir zu seicht und blumig (sic!), andererseits ist er hervorragend von Seal interpretiert. Ich kenne allerdings eine Menge Menschen, die der Song berührt. Seal hat derweil nie aufgehört Musik zu machen. Zwischen 2004 und 2014 hatte er in seiner Ehe mit Heidi Klum allerdings eine andere Rolle zu erfüllen. Die als Musiker steht ihm mit Sicherheit besser. Emil verlangt derweil nach Endlosschleife. Vielleicht sollten wir Batman Forever schauen.

Unnützes Kneipenwissen I: Seals Narben im Gesicht resultieren aus einer Lupus-Erkrankung. Der lupus erythematodes befällt vor allem Hautpartien oberhalb des Halses.

Unnützes Kneipenwissen II: Kiss From A Rose durfte nicht für einen Oscar nominiert werden, da er bereits zuvor auf dem Album Seal II veröffentlicht wurde.

 


 Jede Woche begleite ich meine Zwillinge Emil und Jakob auf ihrem Weg durch die musikalische Welt. Wo bleiben sie stehen, wo verweilen sie? Wo sehe ich mich, wo laufe ich weg? Jeder Tag voller Spannung und vor allem, nie ohne Musik. Erfahrt hier mehr über die Songs der Sahnehäubchen.