September – langsam verabschiedet sich der Sommer. Die Tage werden kürzer, die Abende deutlich kühler. Bevor der Herbst in den nächsten Wochen unseren Körper und unser Gemüt streift, möchte ich eine besondere Sahneplatte nicht vergessen. Ein Album, dass ich so nicht erwartete. Eine Künstlerin, die ich so nicht kommen sah. In meinen bisherigen Beiträgen ist eine gewisse frankophile Ader nicht zu verleugnen, jedoch fokussierte sich diese bisher auf elektronische Musik (Daft Punk, Air). Bei Musik abseits meiner sonstigen Hörgewohnheiten, faszinieren und überraschen mich französische Künstler immer wieder. Vor allem die französische Sprache eignet sich in meinen Ohren ganz wunderbar zur Untermalung vom Melodien und Rhythmen. Genau diese weiche, melodiöse Sprache kommt bei Air und vor allem bei Daft Punk viel zu kurz. Zaz hingegen schafft es, mit ihrer Sprache Bilder zu erzeugen und den geträumten Urlaub in Südfrankreich auf die innere Netzhaut zu projizieren.

Identitätsstiftend

Im Frühsommer 2010 ertönte ein auffälliges Lied aus den Lautsprechern von Autoradios oder Handys im Stadtpark. Zu hören eine Tröte, die sich durch ein Chanson windet. Französische Sprache. Raue Stimme. Zaz veröffentlicht ihr gleichnamiges Debütalbum in jenen Tagen. Die Singe Je veux wird ein Hit, der sich erst über Frankreich, dann über anschließende Nachbarländer ausbreitet. Isabelle Geffroy, wie Zaz mit bürgerlichem Namen heißt, bringt den Franzosen ihre ureigene musikalische Grundform zurück: das Chanson. Ihre Stimme ist vom Jazz inspiriert, klingt rau, ungezwungen, etwas wild. Frankreich vergleicht sie mit der „heiligen“ Edith Piaf. Eine Auferstehung des klassischen Chansons durch die Moderne. Die Franzosen geben dieser Bewegung den Namen „Nouvelle Chanson“.

Aufmüpfig

Was Zaz von den klassischen französischen Chansonsängern unterscheidet ist ihr Erscheinungsbild. Sie leidet nicht. Sie fleht nicht. Ihre Explosivität, ihre Rastlosigkeit, ungebändigt zu sein, dass wird ihr Markenzeichen. Isabelle galt bereits in der Schule als schwierig und hyperaktiv. Lehrer und Eltern zeigten sich überfordert, an Konformität ließ sie es in den Jahren des Erwachsenwerdens mangeln. Sie selbst beschreibt ihr damaliges Verhältnis zu den Eltern als schwierig:

„Irgendwann haben wir einfach nicht mehr miteinander gesprochen, ich war schlicht unerträglich. […] Ich bin abgehauen, war auf verschiedenen Schulen und habe mehrere Klassen wiederholt. Mit zwölf, dreizehn war ich sehr wütend auf die Erwachsenen, auf die Gesellschaft. Damals hatten sich meine Eltern getrennt, ich hatte zu meinem Vater keine Beziehung, und mit meiner Mutter konnte ich nicht gut. Und mit den anderen Kindern war es nicht besser. Kinder können sehr grausam sein – wenn man zu dick ist oder rothaarig oder einfach anders, muss man sich einen Panzer zulegen. Sobald man Schwäche zeigt, kriegt man eins in die Fresse. […]

Mit 20 ging ich zu einer Berufsberatungsstelle für Jugendliche. Dort hat mich ein Erzieher auf dem Flur singen gehört und meinte: Mach was draus, du bist hier die ganze Zeit am Singen, bewirb dich doch mal um ein Stipendium. Als ich 14 Jahre alt war, hatte man mir gesagt, Sängerin ist kein Beruf, da wirst du auf der Straße enden. Dieser Erzieher hat mich ermutigt, mich zu bewerben, und so habe ich ein Stipendium bekommen. […] Allen, die nicht an mich geglaubt haben, kann ich heute sagen: Seht her, ich tue heute das, was ich wirklich will.“

Isabelle Geffroy, Interview mit ZEIT Magazin, 2016

Mit 20 beginnt sie, ihre Musikkarriere zu fokussieren und begann ein Gesangsstudium. Sie singt in einer Latin-Rockband und lebt mehrere Jahre mehr schlecht als recht in Paris. Neun Jahre später, 2009, gewinnt sie einen Gesangswettbewerb im Pariser Olympia. Ohne eigenen Fanclub, ohne jeglichen Support von außen. Sie findet durch den Erfolg einen Produzenten, der mit ihr ein Debütalbum aufnimmt. Ein Jahr später erscheint „Zaz“ und die Single Je veux katapultiert das Album ganz nach oben.

Zaz als Ton-Gourmet

Nach dem ersten Hören bekam ich die Tröte nicht mehr aus dem Kopf. Der Kauf des Albums im Anschluss eine spontane Aktion. Bereut habe ich es nicht. Zaz klingt unglaublich fröhlich, leicht und lebensbejahend, dass ich meinen Lebenstraum umgehend auf ein „Haus in der Provence“ änderte. Songs wie „Le long de la route„, „Prends garde à ta langue“ oder „Ni oui ni non“ sind so unglaublich schön, dass sich der permanente Urlaubsmangel in einer Wolke aus Melodie auflöst. Irgendwo entkorkt sich eine Flasche Rotwein und die Tarte au chocolat kommt frisch aus dem Ofen. Mon Dieu…

Wo Zaz besonders fasziniert ist auf der Bühne. Oftmals spielt sie ihre Songs ein, zwei Takte schneller als auf Platte, was ihrer rastlosen Bühnenpräsenz zugutekommt. Wirklich schön anzusehen, still stehen bleiben ist nicht drin. In den letzten Jahren hat sich Zaz in der europäischen Musikszene etabliert und das zu Recht. Ihr Debütalbum bleibt für mich einzigartig, hatte ich diese energiegeladene Künstlerin und die zauberhaften Melodien damals nicht erwartet.

 

Unnützes Kneipenwissen: Es wurde in vielen Artikeln kolportiert, Zaz hätte sich jahrelang als Straßenmusikerin durchschlagen müssen. Für eine romantische Zeichnung ihres Profils sicherlich förderlich, ist diese Aussage allerdings Quatsch. Was stimmt ist, dass Isabelle Geffroy mit Freunden gelegentlich auf dem Montmartre musizierte. Allerdings nicht um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

 

Anspieltipps: Je veux, Le long de la route, Prends garde à ta langue

Höre ich dann am liebsten: früher Abend, 25 Grad Celsius, auf einer beliebigen „Place de la Public“ in einer französischen Kleinstadt

 



 

Zaz – Zaz

Genre:Pop
Stil:Nouvelle Chanson, Jazz
Jahr:2010
Anzahl Titel:11
Laufzeit:38:59

Tracklist

Les Passants3:33
Je Veux3:39
Le Long De La Route3:37
La Fée2:53
Trop Sensible3:59
Prends Garde À Ta Langue3:41
Ni Oui Ni Non3:31
Port Coton2:56
J'aime À Nouveau3:50
Dans Ma Rue4:40
Éblouie Par La Nuit2:40