Im August 2002 brachen fünf unerschrockene junge Studenten auf, Schottland zu erobern. Zwei Aldi-Zelte, zwei Gaskocher und zehn Wanderschuhe trotteten durch den “schottischen Jahrhundertsommer”. Knapp drei Wochen, einige Trails, kaputte Knie und zahllose Mückenbisse später, erreichte die transnationale Gruppe, bestehend aus drei Deutschen und zwei Belgiern, ihr Ziel Edinburgh. Sichtlich gezeichnet und mit Zwei-Liter-Cider-Flaschen bewaffnet, nahmen sie die letzten Sehenswürdigkeiten in Angriff. Mir fiel auf, dass weiße Plakate aller Größen das Stadtbild aller Größen beherrscht wurde. Auf Stromkästen, an Laternenpfählen, in Pubs und Hauswänden, überall hingen dieses Plakate. Beim Näherkommen wurde schnell ersichtlich, dass der Inhalt der Plakate eine neue Platte ankündigte. Ich hatte bis dato noch nie ein solches Ausmaß an (Straßen-)Marketing für einen Tonträger erlebt. Vor allem, warum habe ich ein solches Plakat nie in Deutschland gesehen? Die Band? Coldplay. Das Album? “A Rush Of Blood To The Head“. Komischer Name. Kann sich doch keiner merken.
Coldplay – wohin mit euch?
Es war ein seltsamer Anblick, in jenen Tagen in Edinburghs Straßen. Eine solche visuelle Präsenz für eine musikalische Veröffentlichung war mir bis dato noch nicht untergekommen. Coldplay waren mir spärlich ein Begriff. Ihr Video zu “Trouble” vom vorher veröffentlichten Debütalbum “Parachutes” war mir aus dem Musikfernsehen ein Begriff. Mehr kannte ich nicht. Parachutes ist heute für mich eine weitere Sahneplatte der Band. A Rush Of Blood To The Head sollte es ebenfalls werden. Wieder zurück in Deutschland, konnte sich dem Album nach Veröffentlichung niemand mehr entziehen. Was in erster Linie nicht am Marketing, sondern an der außerordentlichen Qualität der Songs liegt.
Zu Coldplay möchte ich an dieser Stelle nicht tief eingehen. Jeder kennt die Mannen um Chris Martin, “dank” der nicht zu entfliehenden Medienpräsenz der letzten Jahre. Kennengelernt am University College in London, waren die ersten beiden Alben der fünf Jungs bahnbrechend. Sie stellen das Fundament des heutigen Erfolgs der Band. Mit den beiden Nachfolgealben zu A Rush Of Blood To The Head, “X&Y” (2005) und “Viva La Vida” (2008), konnte ich mich noch anfreunden. Seit 2008 ist die Band für mich nicht mehr existent und verloren in einem Sumpf aus Werbetönen, fluoreszierenden Armbändchen und “Radio-Fast Food”. Es ist ein Jammer.
Ein Blick auf aktuelle Konzertsetlists zeigt, dass sich höchstens ein bis zwei Songs der ersten beiden Alben in das Set der Band verirren. “Wehret den Anfängen”…nicht bei Coldplay. Nun gut, es sind Berufsmusiker und wollen die Marie mit nach Hause bringen. Jedem seine Entscheidung. Ich habe A Rush Of Blood To The Head lange auf meinem Redaktionsplan für diesen Blog. Ein kürzlich geführtes Gespräch mit meinem Blogkollegen hicemusic, der exakt meine Meinung zur Diskografie von Coldplay vertritt, brachte mich schneller als gedacht zum heutigen Beitrag. Schaut unbedingt in seinen Blog, es lohnt sich!
Zwischen den Zeilen
A Rush Of Blood To The Head ist ein sehr dichtes Album. Es besitzt in meinen Ohren kein Füllmaterial. Alle Songs sind ausgewogen und deutlich facettenreicher als auf Parachutes. Piano und E-Gitarre bereichern die Akkustikgitarrenmelodien der Band. Die besonderen Schätze liegen für mich zwischen den Singelauskopplungen des Albums. Vielleicht weil diese zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sehr präsent waren. Politik startet mit einem hämmernden Aufruf (“Open Up Your Eyes“). God Put A Smile Upon Your Face mit seinem bluesigen Stampfrhythmus macht schnell gute Laune. Warning Sign, A Rush Of Blood To The Head und Amsterdam sind einfach nur bezaubernd.
Das Album ging auf #1 in Großbritannien und Deutschland und machte Coldplay in Amerika bekannt (#5 in den Billboard 200). Mit 13 Millionen verkauften Exemplaren weltweit ist es bis heute das meistverkaufte der Band. Drei Grammy Awards obendrein. Warum ging es (künstlerisch) nicht so weiter? Alsbald kosteten Tickets für Coldplay-Konzerte 70 Euro. Der erste Grund, warum wir als Studenten nie ein Konzert besuchten.
Die Welt von oben
Die fünf Jungs haben Schottland damals überlebt und Edinburgh wuchs uns ans Herz. Die weißen Plakate sind heute verschwunden. Coldplay sind (irgendwie) geblieben. Parachutes und A Rush Of Blood To The Head laufen heute weiterhin bei mir. Dafür sind die Songs zu stark. Viel stärker als der Weg einer Band, den ich nicht mitgehe.
Wir fünf Jungs treffen uns heute immer noch, mehr oder weniger, regelmäßig. Mal in Trier, mal in Belgien. Das schaffen wir, auch wenn das Leben heute komplizierter ist, als ein 100 Gramm-Snickersriegel und eine Zwei-Liter-Cider-Bottle.
Unnützes Kneipenwissen I: Im Erfolg von A Rush Of Blood To The Head hatte Chris Martin 2003 das Glück, Gwyneth Paltrow zu ehelichen. Die beiden ließen sich 2015 scheiden. Martin, 2005 noch “World’s Sexiest Vegetarian”, begann nach der Trennung wieder mit dem Fleischverzehr. Konsequent?
Unnützes Kneipenwissen II: Chris Martin spielte 2004 in “Shaun Of The Dead” einen Zombie. Drummer Will Champion ist da näher am Oscar. Er spielte in “Game Of Thrones” einen als Musiker verkleideten Verräter bei der “Roten Hochzeit” (Se. 3, Ep. 9 “Rains Of Castamere”). Und jetzt alle so Gänsehaut!
…kurz Luft holen…
Unnützes Kneipenwissen III: Witzige Anekdote in Bezug auf den Song “Clocks“. William Willett (1856-1915) gilt als Begründer der Idee, in England die Sommerzeit einzuführen. Er ist der U(h)r-U(h)r-Großvater von Chris Martin. Brüller!
Anspieltipps: God Put A Smile Upon Your Face, Warning Sign, A Rush Of Blood To Your Head, In My Place
Höre ich dann am liebsten: im Zustand totaler Entspannung
Coldplay – A Rush Of Blood To The Head
Genre: | Rock |
Stil: | Alternative Rock, Pop Rock |
Jahr: | 2002 |
Anzahl Titel: | 11 |
Laufzeit: | 54:12 |
Tracklist
Politik | 5:17 |
In My Place | 3:46 |
God Put a Smile Upon Your Face | 4:55 |
The Scientist | 5:08 |
Clocks | 5:05 |
Daylight | 5:23 |
Green Eyes | 3:39 |
Warning Sign | 5:27 |
A Whisper | 3:55 |
A Rush Of Blood To The Head | 5:49 |
Amsterdam | 5:17 |
11. September 2017 um 8:16 Uhr
Achach. Völlige Übereinstimmung. Sowohl zur Edinburgh-Liebe als auch zu Coldplay. Die Band hat mir mein Herz gebrochen. So tolle erste Alben und jetzt nur noch so Kirmesgedudel.
11. September 2017 um 8:27 Uhr
Liebe Gesa,
herzlich Willkommen, schön dass du mal vorbei schaust…:)
“Kirmesgedudel” ist jetzt schon mein “Wort des Tages”…:D 😀
Aber bitte schön auch mit Arme hoch, damit man die fluoreszierenden Armbändchen sieht und ganz laut “Whooohoo” schreien. Wenn schon, denn schon…;)
Würde mich freuen, dich öfters begrüßen zu dürfen. Fühl dich wohl…:)
LG Torsten
11. September 2017 um 9:00 Uhr
Ich habe ja nur auf eine Platte gewartet, zu der ich auch mal was sagen kann 🙂
11. September 2017 um 9:01 Uhr
😀 Da kommen bestimmt noch mehr! 😉
11. September 2017 um 8:32 Uhr
Diese Platte ist bei mir ja völlig unpassend aber ebenso völlig untrennbar mit “Silent Hill” verbunden. Ich bekam damals nämlich alles drei zum Geburtstag: Die Coldplay-CD, das Spiel und eine Playstation 2 – und da lief dann eben wochenlang immer alles gleichzeitig 😀
11. September 2017 um 8:35 Uhr
Hey Myriam, geile Assoziation!
Uuuuhhh, ganz viel Nebel….:D
Aber immerhin lief es! ♥
LG Torsten
11. September 2017 um 8:40 Uhr
Ich krieg heute noch eine Gänsehaut wenn irgendwo plötzlich ein Lied von der Platte läuft … spiel mir das nachts im Wald vor (oder schlimmer noch: in einem leeren Krankenhaus) und ich bekommen wahrscheinlich einen Herzinfarkt 😀
11. September 2017 um 8:41 Uhr
…oder ne verlassene Schule….oder einfach Nebel…viel Nebel….und irgendwo steht ein Taxi….leer…:D
11. September 2017 um 8:42 Uhr
Na toll, jetzt trau ich mich nicht mal mehr zum Rauchen vor die Tür zu gehen 😀
11. September 2017 um 8:43 Uhr
Mach doch noch die Playlist dazu an…:D
Aber schön, wenmn ich dir beim Nichtrauchen etwas helfen kann…^^
😀
11. September 2017 um 8:48 Uhr
Ach, immer dieses Nichtrauchen…… obwohl, wenn das mit Playlist gelingt, wäre das mal eine wissenschaftliche Revolution! Ich bin dafür! 😀
11. September 2017 um 8:36 Uhr
“nicht im Bild: Coldplay” XD Sehr gut!
Hinsichtlich Coldplay frage ich mich immer so ein bisschen, was mit mir nicht stimmt. Anscheinend mag die ganze Welt diese Band, aber irgendwie kann man mich mit deren Musik jagen…
11. September 2017 um 8:38 Uhr
Hey fraggle,
kann ich total verstehen, wenn ich das ganze “kreative Schaffen” nach 2008 betrachtet.
Dien ersten beiden Alben finde ich Welt, die darauffolgenden beiden in Einzelsongs okay, alles danach totale Grütze. Echt schade, eigentlich ganz sympathische Jungs.
Da kommen noch Sahneplatten von Künstlern, deren Karrieren ähnlich verliefen…:)
LG Torsten
11. September 2017 um 11:52 Uhr
Geht mir ganz genauso fraggle.
11. September 2017 um 17:58 Uhr
Auch wenn ich Parachutes bevorzuge, zeigt dieses Album Coldplays können. Leider haben sie nach dem großartigen Viva La Vida die Linie verloren, immer wenn man denkt, es könnte wieder besser werden, kommt der nächste Tiefpunkt. Eine Schande, sie hätten den Platz im Popolymp sicher, und heute Kirmesgedudel ist dagegen großartig.
11. September 2017 um 18:01 Uhr
Da gehen wir ja konform! Sehr schön… 😊😊
11. September 2017 um 18:03 Uhr
Sehr gut
11. September 2017 um 18:33 Uhr
Sehr gut, hier noch meine Coldplayerinnerung
https://eccehomo42.wordpress.com/2017/09/11/beeinflusst-10-coldplay-yellow/
11. September 2017 um 18:50 Uhr
Super, vielen Dank! 😊
11. September 2017 um 19:50 Uhr
Ja, ein starkes Album, das ich mir auch immer wieder anhören kann. Aber anders als du mag ich auch noch »Mylo Xyloto«, denn ich habe den medialen Hype einfach nicht mitbekommen (dafür höre ich wohl zu wenig Radio). Danach habe ich aber alles verpasst und auch kein Interesse mehr. Edinburgh ist super, ich war 2006 dort (mit Frau und dem Großen). Wir waren kurz vor dem Ende der Reise und hatten die Schnauze voll vom Kulturprogramm. Also sind wir einfach nur durch die Stadt geschlendert — das war der beste Tag im ganzen Urlaub (es war ja kein Urlaub, es war eine Reise…). 😬
11. September 2017 um 23:04 Uhr
Ja, Edinburgh ist super und auch sehr relaxed.. 😊😊
11. September 2017 um 20:48 Uhr
Eins noch zu Coldplay. Einmal habe ich sie live gesehen, beim Festival in Werchter. Es war ein grandioser Auftritt und den Papierschmetterling hatte ich noch jahrelang im Portemonnaie, bis er sich völlig aufgelöst hat. Es tut mir so weh, wenn ich darüber nachdenke, was aus der Musik geworden ist. Wirklich fast so schlimm wie Liebeskummer.
11. September 2017 um 23:05 Uhr
Oh ja Gesa das glaube ich dir… Wann war das Konzert?
12. September 2017 um 22:00 Uhr
Hmmm… so Ende der 2000er. 2008 oder 09. Es waren schon schlechtere Alben von ihnen auf dem Markt, aber sie haben eine Menge von den ersten drei Alben gespielt. Ich bin schon froh, dass ich sie gesehen habe, jetzt reizt die Band mich einfach gar nicht mehr.
12. September 2017 um 22:07 Uhr
Oh ja, das geht noch. Wir hatten mal mit ein paar Kommilitonen so gegen 2005 ein Konzert geplant, da lagen sie schon bei 70 Euro die Karte… Ohne Anreise… Da haben wir es gelassen… 😊
12. September 2017 um 20:03 Uhr
Ahhh, das war doch die “Half as wild!” Tour… also nicht von Coldplay, sondern von euch 🙂
12. September 2017 um 20:07 Uhr
Haha fast! Die war 3 Jahre früher!! 😂😂… Dazu gibt’s ne andere Sahneplatte… 😊
3. Oktober 2017 um 15:03 Uhr
“Parachutes” und “A rush…” sind die zwei Platten, die auch in meinen Regalen Heimat gefunden haben. Danach habe ich mich dann aber schon von Coldplay entfernt. Ging bei mir also früher los.
3. Oktober 2017 um 15:17 Uhr
Kann ich verstehen… 😊