Mir etwas zum Geburtstag zu schenken ist nicht einfach. Das gebe ich zu. Zum einen zolle ich meinem Geburtstag nicht viel Beachtung, zum anderen äußere ich selten Wünsche. Das ist für meine Umwelt nicht immer einfach, ist sie über das Jahr zum genauen Zuhören gezwungen. 2004 erhielt ich zu meinem 25. Geburtstag ein, aus der Retrospektive betrachtet, besonderes Geschenk. Ein Abonnement einer Musikzeitschrift. Dieses erweiterte ab jenem Moment meinen Musikhorizont. Jeden Monat aufs Neue. Musikstreaming war in jenen Tagen größtenteils illegal (haben wir natürlich nie gemacht …), Tonträger erwarb ich in der Regel ohne Vorkenntnis. Da tat ein regelmäßiger Einblick über Neuerscheinungen weiß Gott gut. Ein Jahr später zog mich eine gut geschriebene Rezension in ihren Bann. Das dazugehörige Album bekam ich zu Weihnachten (wieder ein gutes Geschenk). Seitdem sind Elbow mit das Liebste, was ich habe.
Kritikerlieblinge
Elbow kommen aus Manchester, wie viele großartige britische Rockbands. Dennoch fliegen sie, im Gegensatz zu einigen ihrer Landsleute, seit jeher unter dem Radar großer Verkaufszahlen. Elbow gründeten sich 1997. Nach der Veröffentlichung von drei EPs startete ihre Karriere 2001 mit dem Debütalbum “Asleep In The Back“. Dieses erhielt aus dem Stand so hervorragende Kritiken, dass die Band Nominierungen für den Mercury Music Prize sowie die Brit Awards erhielt. Auch die Nachfolgeplatte “Cast Of Thousands” von 2003 etablierte sich in der britischen Musikszene. Elbow spielten eigene Konzerte und waren Bestandteil großer Festivals (Glastonbury).
Vor allem in den Songs der Frühphase ist der musikalische Einfluss der Bandmitglieder deutlich zu hören. Sänger Guy Garvey verehrt die progressiven Genesis der 1970er-Jahre. Radiohead und Talk Talk sind ebenfalls essentiell für Elbow. 2005 las ich in der eben erwähnten Musikzeitschrift das erste Mal von einem Album namens “Leaders Of The Free World“. Die Melodien seien die “schönsten des Jahres” und die Band “auf dem besten Weg, die besseren Coldplay zu sein”. Elbow bekamen für das Album durch die Bank hervorragende Kritiken und entfernten sich von ihren progressiven Einflüssen.
Warmer Pulli
Stattdessen stellen sie auf Leaders Of The Free World die bezaubernden Geschichten und die einnehmende Stimme von Guy Garvey in den Vordergrund. Wo andere Bands der Zeit darauf abzieten, Mädchen zum Tanzen zu kriegen (Bloc Party, Franz Ferdinand), sind Elbow darauf aus, Männer zum Weinen zu bringen. Und das ist nicht übertrieben. Guy Garvey hat die Gabe, mit seiner Stimme Geschichten zu erzählen, die in den Arm nehmen. Wie ein warmer Pulli an einem kalten, grauen Tag. Konzerte, egal in welcher Größe, werden zu einem Kneipenabend mit alten Freunden. Gemütlich, vertraut, miteinander. Ich hatte bereits das Glück, Elbow vor einem kleinen Publikum sowie auf großen Festivals zu sehen. “Jederzeit zu Fuß hinlaufen” beschreibt es perfekt.
Elbow schaffen es, besondere Atmosphären zu schaffen. Gleich der erste Song “Station Approach” schafft Gänsehaut. Ein intoniertes “nach Hause kommen”. Jeder der nach längerer Zeit seine Familie besucht, muss dieses Lied auf dem Heimweg hören. “Forget Myself” bietet höchste Lyrik einer durchzechten Nacht. “The Stops“, “An Imagined Affair“, “My Very Best” und “Great Expectations” sind fragil wie feine Schneeflocken und entfalten in der Ruhe ihre Schönheit. Der Titelsong “Leaders Of The Free World” thront in der Mitte das Albums als Manifest des Bluesrock. Der Rhythmus stampft und Elbow vollziehen eine Abrechnung mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Wer konnte ahnen das es noch schlimmer kommt?
Männer zum Weinen
Ich habe das Album durchgehört und mich sofort verliebt. Und “verliebt” ist genau das richtige Wort. Nicht zu schwach und nicht zu übertrieben. Es gibt wenige Bands, die es schaffen, Gefühle dermaßen über Lyrik und Melodie zu transportieren wie Elbow. Nie kitschig, nie klebrig. Wer die Band live erlebt und sieht, wie Garvey das Publikum mit seinen gesungenen Geschichten einnimmt, kann das nicht emotionslos hinnehmen. Auf der Bühne sind die Jungs grundsympathisch und authentisch. Als säße der Hörer mit alten Freunden in seiner Lieblingskneipe und die Jungs spielen in der anderen Ecke für ihr Abendessen.
Acht Alben haben Elbow mittlerweile veröffentlicht und beschenken uns immer wieder mit neuen Geschichten. Ohne an Gefühl und Atmosphäre zu verlieren. Sie sind eine Konstante britischer Rockmusik. Leaders Of The Free World wurde kein großer kommerzieller Erfolg. Dennoch verzauberte das Album eine Vielzahl von Menschen und Kritikern. Einschließlich mich. Das Album ist perfekt für Herbst und Winter. Eine warme Umarmung an kurzen, grauen und kalten Tagen. Wollt ihr euch verlieben? Dann hört ihr Elbow!
Unnützes Kneipenwissen I: Das Albumcover ist eine (unbewusste) Reminiszenz an die 1976 erschiene Platte “A Trick Of The Tail” von Genesis. Es beinhaltet fünf Charaktere aus verschiedenen Songs des Albums: einen Ticketkontrolleur aus Station Approach, einen Türsteher aus Forget Myself, einen schlechtgelaunten, trinkenden Mann aus Picky Bugger, einen Mexikaner aus Mexican Standoff sowie eine Aufziehfigur mit einer Kanne Tee aus Puncture Repair.
Unnützes Kneipenwissen II: Der Name “Elbow” enstammt einem Zitat der BBC-Fernsehserie “The Singing Detective“. Der Charakter Philip Marlow bezeichnet “elbow” als das schönste Wort der englischen Sprache.
… eine so tolle Band …
Unnützes Kneipenwissen III: Der Titelsong nutzt Phrasen und Zitate rund um George W. Bush. Unter anderem wurde er bei einer Veranstaltung als “Commander in Chief and Leader of the free World” vorgestellt. Die Metapher des Steine werfenden, kleinen Kindes ist nicht zufällig zentrales Thema des Songs.
Anspieltipps: Leaders Of The Free World, Station Approach, Forget Myself, The Stops, Great Expectations
Höre ich dann am liebsten: wenn ich nach Hause komme
Elbow – Leaders Of The Free World
Genre: | Rock |
Stil: | Indie Rock |
Jahr: | 2005 |
Anzahl Titel: | 11 |
Laufzeit: | 49:32 |
Tracklist
Station Approach | 4:22 |
Picky Bugger | 3:07 |
Forget Myself | 5:22 |
The Stops | 5:03 |
Leaders of the Free World | 6:11 |
An Imagined Affair | 4:44 |
Mexican Standoff | 4:01 |
The Everthere | 4:14 |
My Very Best | 11:46 |
Great Expectations | 5:05 |
Puncture Repair | 1:48 |
12. Dezember 2017 um 8:46 Uhr
Und wieder etwas Neues kennengelernt. Vielen Dank!
Hab einen schönen Tag,
Veronika
12. Dezember 2017 um 9:51 Uhr
Huhu Veronika, das freut mich sehr! 😊 Elbow ist wirklich ne Herzensangelegenheit. Per Zufall entdeckt und nie mehr losgeworden. Alle Menschen sollen sie hören…! 😊🎧❤️
13. Dezember 2017 um 8:21 Uhr
Elbow hatte ich fast ein bisschen vergessen, bis mir das Radio ihr Cover von Golden Slumbers ins Ohr und Gehirn spülte. Wirklich eine tolle Band!
13. Dezember 2017 um 8:31 Uhr
Absolut liebe Gesa, schön, dass ich dir eine Erinnerung pflanzen konnte…😊