Lieber Torsten, wo wir uns über VIVA ausgetauscht haben und du den anderen Sender auch schon erwähnst hast, müssen wir unbedingt über das „kleine Geschwisterkind“ sprechen. Dessen Verschwinden war für mich um einiges entsetzlicher, muss ich zugeben. Man kann es ja auch überall nachlesen (Foren etc.) und es gibt Seiten, auf denen einige Eifrige versuchen, die großen Schätze aus dieser Zeit zu sammeln. Was gab es da nicht alles Schönes? Vor kurzem haben Simon Gosejohann und sein Bruder Thilo als Gäste der Rocket Beans-Sendung „Kino+“ sie noch einmal ins Gedächtnis gerufen, ihre aufregende Zeit bei VIVA ZWEI.
Am 07.01.2002 war es soweit. Nicht nur „Zwobot“ war tot, der wunderbar zynische lebende Mikrofonschoner aus der sagenhaften namensgebenden, gesellschaftskritischen Puppensendung, sondern ein ganzer Sender musste einem damals schon fragwürdigen Kommerzprodukt namens VIVA Plus Platz machen. VIVA ZWEI war auf so vielen Ebenen interessanter! Großartige Genre-Sendungen, die auch den kleinsten Musikstilen und anderen Popkultur-Phänomenen ihre Aufmerksamkeit schenkten (z.B. das tolle „WahWah“), in denen seltene Videoclips (ich habe da beispielsweise die Avalanches mit Songs ihres großartigen Debüts gesehen, z.B. „Since I Left You“) oder kultige Filmausschnitte gezeigt wurden, „Zelluloid u.a., mit dem oben erwähnten Simon Gosejohann. Wo wir schon bei den Moderatoren und VJs sind, geniale Auswahl: Charlotte Roche, Niels Ruf, Il Young-Kim, Markus Meske, Markus Kavka, die bezaubernde Tanja Mairhofer und und und. Aus dem 1995 gestarteten okayen Eighties Pop-Sender war gerade ein innovativer, anarchischer Alternative-Sender mit coolen Videos geworden, als alles schon wieder vorbei war. Schade! Aber erzähl du bitte mal, wie hast Du diese Zeit erlebt?
VIVA ZWEI – „Verloren gegen ein 10erPack CD-Rohlinge“
Lieber Niko, 2002? Gefühlt ist das irgendwie viel länger her. Aber diese Liebe zu den (etwas schrulligen) Genres der kleinen Schwester fühle ich umgehend wieder im Herzen. Simon Gosejohann war auch mal da? Ehrlich? Vor meinem geistigen Auge stehen Charlotte Roche, Mirjam Weichselbraun oder Sarah Kuttner jung und erfrischend in tristen Bühnenbildern oder schlechtwettrigen Außenszenen und moderieren mit „angestrengter Akademikerlyrik“ (die „stumpfe Gymnasiastenlyrik“ war ja dem Haussender vorbehalten). Der Post-Punk der frühen 00er-Jahre optisch und auditiv vereinnahmend. Irgendwie war es besonders. Es war so ein wenig das „Charakterbecken“ eines Aquariums, aus dem die gleichförmig schwimmenden Fische entfernt wurden. Das Schrille aber zugleich Nachdenkliche der Moderatoren sprach mich zu Beginn meiner Zwanziger durchaus an. Die Musik sowieso. Als hätte VIVA seiner Schwester die Sonne entzogen und durch Wind und Nieselregen ersetzt.
Das Musikfernsehen, mit Betonung auf „Musik“, lag zu jener Zeit im Fahrstuhl zur Intensivstation. Reality-Formate beschallten uns durch den Nachmittag, wir wussten mehr über die Anatomie und das Balzverhalten amerikanischer Jugendlicher, als über das neue Album der Queens of the Stone Age. Wir „flüchteten“ ins Internet. In 56k-Geschwindigkeit durch Napster oder Kazaa. Den Song digital mitnehmen statt analog darauf warten. Ein 10er-Pack CD-Rohlinge als sinnvolles Geburtstagsgeschenk. Musik wurde anders, VIVA ZWEI war irgendwie zu spät. Leider. Das Konzept fand ich klasse. Die Gesichter auch. In den frühen 90ern, zu Zeiten von MTV-Genreformaten, wie „Headbangers Ball“ oder „Alternative Nation“, hätte sich VIVA ZWEI bestimmt prima auf dem Pferd gehalten. 2002, als der Sender aufs Karussell stieg, drehte es sich bereits nicht mehr. Dennoch, trotz seiner gefühlten Eintagsfliegenpräsenz, ist es mir stark im Gedächtnis geblieben. Ich denke, so hätte ich Musikfernsehen gemacht.
“Warum führen Sie eine Fernbeziehung?”
Nico und Torsten, brothers in crime, führen eine Fernbeziehung. “Old school” meets “new shit”. Der eine malt auf seinem Blog sahneplatten.de musikalische Erinnerungen an die Wand, während der andere auf seinem Blog hicemusic unsere Gehörgänge stets mit neuem musikalischen Gebäck füttert. Getrennt in Zeit und Geografie, vereint in der unendlichen Liebe zur Musik. In Fernbeziehung schreiben sie sich zu Themen der Musik und Popkultur ihr “Bromance” von der Seele.
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