Der Klassiker. Der Urknall. Das Buch Genesis. Gäbe es eine Stunde null, eine Uraufführung oder einen Rohling des Sahnehäubchens, es wäre dieses Lied. Das erste popkulturelle Stück. Nach Monaten und Jahren, in denen Frederik Vahle mit seinen wunderbaren Liedern unzählige Autofahrten, Breimahlzeiten und Badewannen versüßte, forderten Emil und Jakob zum allerersten Mal bewusst die Wiederholung eines Werks aktueller Popkultur. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich es nicht erwartete. Marcus Wiebusch veröffentlicht 2014 sein erstes Soloalbum Konfetti, was bei mir ein Probehören auf einer nicht näher bestimmten Autofahrt begründet. Ohne vorher große Begeisterung oder Wohlwollen auszudrücken, fällt nach Ende des fünften Songs das magische Wort. “NOCHMAL”. Fortan steht, für eine lange Zeit, dieses Wort für den kurzen Ausdruck absoluter Zustimmung und Akzeptanz bezüglich gehörter Musik. Ist es genehm oder gar gut, “NOCHMAL”. Mehr braucht es nicht. Was Wir Tun Werden.

Irritation im Klassenzimmer

Marcus Wiebusch blickt mit seinen heute fünfzig Jahren auf eine bewegte Bandkarriere und eine persönliche, musikalische Entwicklung zurück. Niemand steht mehr für intelligente, reflektierte, befindlichkeitsfixierte deutsche Popmusik der 2000er, als der gebürtige Heidelberger. Richtig gehört. Heidelberg. Obwohl Wiebusch mit seinen Bands …But Alive, Rantanplan und, allen voran, Kettcar als Synonym und Lebensgefühl der Hansestadt Hamburg steht. Noch lange bevor wir empathische Mitzwanziger waren, die ausziehen die Welt zu erobern und dabei Kettcar zitieren, waren wir in den 1990er-Jahren vor allem eines. Wütende Teenager. …But Alive waren mit ihrem politischen Punk Pflichtprogramm. Ich sehe heute noch die Lehrer irritierenden Bandshirts vor mir, die im Klassenraum klar unterstrichen, dass der Träger “Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen möchte”.

Rantanplan hingegen war der feiernde Gegenpol. Auch schnell, auch kritisch, aber mit ihrem Ska deutlich positiver und lockerer als die ernste politische Attitüde von …But Alive.

“Gerade auch aus heutiger Sicht, wenn ich mir auch die ganzen alten Sachen durchlese und die Texte vergegenwärtige – die sind schon sehr im selbstgerechten Zorn auch geschrieben worden. Muss man sagen. Aber es war auch eine Zeit, ich sag mal, als wir gegründet haben 1993, Rostock, Hoyerswerda, die Übergriffe auf Asylbewerberheime, das war schon auch prägend auf eine Weise. […] Da musste man sich zu verhalten, also ich hab auch alle Bands verachtet, die sich nicht dazu verhalten haben. Und ich war eingebunden in einer Szene, die das alles ganz genauso gesehen haben, also das war schon eine sehr kraftvolle Punkerszene, in die ich eingebunden war. Und da hat man auch die Songs gemacht, die eine Antwort darauf für einen selber erst mal sein konnten.” – Marcus Wiebusch, Deutschlandfunk, 2017

Keine Zeit für Kompromisse

Zu Kettcar und deren Zeit ab 2002 habe ich in einem anderen Blogartikel einiges erzählt. Nach dem vierten Studioalbum Zwischen Den Runden legt die Band 2013 eine kleine Pause ein. Marcus Wiebusch nutzt die Auszeit um eigene Songs einzuspielen und an seinem Soloalbum Konfetti zu arbeiten, welches im April 2014 erscheint. Mit dem Wunsch, eigene Dinge ohne basisdemokratische Kompromisse zu kreieren, nähert er sich auf Konfetti Themen, die ihn, als Pädagogen mit Wurzeln in der linken Szene, beschäftigen. In Der Tag Wird Kommen textet er über Homophobie im Fußball und startet ein Crowdfunding-Projekt, ein passendes Musikvideo zu realisieren. Viele schwul-lesbische Fanklubs bedeutender Vereine zeigen Initiative und werden Teil des Videos. Das mediale Echo rückt Konfetti in den Fokus.

Was Wir Tun Werden ist der besagte fünfte Song des Albums und schürt keine besondere Aufmerksamkeit. Dennoch sind Emil und Jakob vom ersten Hören angefixt. In Ermangelung kognitiver Fähigkeiten, was das Merken von Songtiteln oder Interpreten angeht, verleihen sie ihrem Wunsch nach Hören des Stücks anders Ausdruck. So ist die Klatschsequenz zu Beginn des Liedes ihr Wiedererkennungsmerkmal. Von da an heißt Was Wir Tun Werden schlicht und einfach, “das Klatschen-Lied”. Und das wird es bis zum Ende aller Tage.

Erinnert ihr euch an euren ersten erinnerungswürdigen Song abseits von Kinderliedern, Schlafmusik oder musikalischen Eigenkreationen der Eltern? Wie ist das bei euren Kindern? Finde ich total spannend. Erzählt es mir gerne in den Kommentaren…

Unnützes Kneipenwissen I: Marcus Wiebuschs vier Jahre jüngerer Bruder Lars outete sich bereits in den 90er-Jahren als homosexuell. So besitzt die Thematik in Der Tag Wird Kommen für ihn auch eine persönliche Ebene. Lars spielt seit jeher Keyboard bei Kettcar.

Unnützes Kneipenwissen II: Das Musikvideo zu Was Wir Tun Werden habe ich erst während der Recherche für diesen Artikel entdeckt. Was für ein wundervolles Stück Film. Unbedingt anschauen. Die Idee zur “Stillen Post” als Tanz ist bezaubernd.  Marcus Wiebusch führte bei dem Video Regie und versucht sie selbst an einigen, nennen wir es “Moves”. Großer Gott!

 


 Jede Woche begleite ich meine Zwillinge Emil und Jakob auf ihrem Weg durch die musikalische Welt. Wo bleiben sie stehen, wo verweilen sie? Wo sehe ich mich, wo laufe ich weg? Jeder Tag voller Spannung und vor allem, nie ohne Musik. Erfahrt hier mehr über die Songs der Sahnehäubchen.