Meine Frau hört im Auto leidenschaftlich gerne Deutschlandfunk. Damit bringt sie sich, ganz traditionell, gerne in Schwung, was die Aktualität der großen, weiten Welt betrifft. Seit die Kinder regelmäßige Beifahrer sind, muss sie ihre Leidenschaft bedauernswerterweise zügeln. Die eigenen Rechte schwinden als Elternteil rapide. Als Musikatmender und Zappelphilipp ist mir der Sender DLF, mit seinem großen Anteil an Spoken Word-Beiträgen, etwas gediegen und rotweinlastig. Obwohl meine Frau darauf schwört, dass auf dem Sender sehr gute Musikempfehlungen laufen. Ich runzle meist die Stirn. So saß ich vor einigen Jahren wartend im Auto, zu faul den Sender zu wechseln. Dann passierte es. DLF spielte Musik. Eine gezupfte Gitarre. Ein Klavier. Ein Banjo. Ich war nach drei Minuten erobert. Hektisch suchte ich im Handschuhfach nach Zettel und Stift. Um, wie mein sechsjähriges Ich, gebannt vor dem Radio darauf zu warten, dass der Moderator die Band nennt. Mumford & Sons. Wie schreibt sich das?

London? England?

Wieder zuhause suchte ich die amerikanischen Bundesstaaten Georgia, Louisiana und Tennessee nach dieser lupenreinen Folkmusik ab. Mumford & Sons klangen, als ob Mark Twain aufersteht und Schreibfeder gegen Plektron tauscht. Ohne ersten zählbaren Erfolg bemühte ich das unerschöpfliche Wissen des Internets und fand Antwort in London. London? England? Nä. Computer runterfahren, hochfahren, nochmal gucken. Tatsächlich London, England. Mumford & Sons gründen sich 2007 in der englischen Hauptstadt. Sie schaffen es innerhalb eines Jahres, sich einen Namen in der britischen Folkszene zu erspielen. So eindrucksvoll, dass sie bereits 2008, ohne ein eigenes Album, auf dem Glastonbury Festival auftreten. “West London Folk Music” ist zum Ende des letzten Jahrzehnts ein Qualitätssiegel in der britischen Musikwelt.

Die einzelnen Bandmitglieder Instrumenten zuzuordnen ist vergebliche Liebesmüh’. Marcus Mumford, Winston Marshall, Ben Lovett und Ted Dwane sind durch die Bank weg Multiinstrumentalisten. So fügen sie ihren Arrangements problemlos traditionelle Klänge, wie Banjo, Akkordeon oder Mandoline, hinzu. Sehr schnell findet die Band einen einzigartigen Sound. Faszinierend dabei, dass die Mitglieder von Mumford & Sons sehr jung sind und dafür eine unglaublich souveräne Bühnenpräsenz ausstrahlen. Marcus Mumford ist der Präsenteste und organisiert sämtliche Termine der Band. So wird er, unfreiwillig, zum Namensgeber. Laut Ben Lovett soll der Bandname nach einem antiquierten Familiengeschäft klingen.

Leere Taschen

Sehr früh spielen Mumford & Sons zahlreiche Konzerte, auch im Ausland. Der erste (kleine) Plattenvertrag lässt nicht lange auf sich warten, die erste EP Love Your Ground erscheint im November 2008. Knapp ein Jahr später, im Sommer 2009, sichert sich Island Records einen Vertrag mit Mumford & Sons für Großbritannien. Da steht das Debütalbum Sigh No More bereits in den Startlöchern. Zu diesem Zeitpunkt besitzt die Band keine eigenen Musikinstrumente und finanziert sich das Album, trotz Majordeal, größtenteils selbst. Zu den Aufnahmen von Sigh No More erscheinen die vier Musiker buchstäblich mit leeren Händen. Die Debütsingle wird Little Lion Man, ein Lied, welches bereits auf ihrer EP ein Jahr zuvor enthalten war. Als Vater von zwei, sagen wir mal blumig, lebhaften Jungs, ist Little Lion Man für mich eine Hymne. Darüber, dass am Ende doch alles gut wird.

Little Lion Man bekommt hervorragende Kritiken und Mumford & Sons schaffen es, ihren Erfolg auf der Bühne auf Platte zu konservieren. Sigh No More wird zum Liebling des Feuilletons und findet somit Platz im Musikprogramm des Deutschlandfunks (von wo aus es per Zufall in meinen Ohren landet). 2010 erscheint die Platte in den USA, wo Mumford & Sons ihren Erfolg aus Großbritannien vervielfachen. Die Platte ist gespickt mit wunderbaren Melodien und abwechslungsreichen Arrangements. Die raue Stimme von Marcus Mumford (bei Erscheinen der Platte gerade 22 Jahre alt) fesselt und transportiert die Texte auf eine wunderbare Weise. Die Band wird zweimal für den Grammy nominiert und gewinnt einen Brit Award für die beste britische Band.

Stift und Papier

Der Song, der mich zum hektischen Ausmisten des Handschuhfachs nötigte, war The Cave. Ein wunderbares Gitarrenspiel, welches später in Trompeten gipfelt. Noch heute mag ich den Song sehr. Mein Lieblingsstück auf Sigh No More ist Dust Bowl Dance. Ein leiser Beginn steigert sich allmählich zum tosenden Inferno verschiedener Instrumente. Wirklich beeindruckend ist ein Auftritt der Band im Red Rocks-Amphitheater in Denver aus dem Jahre 2012. Die Kulisse ist atemberaubend und harmoniert bestens mit der Musik von Mumford & Sons. In der unten eingebetteten Playlist findet ihr eine Aufzeichnung von Dust Bowl Dance aus besagtem Auftritt.

Auch wenn mir die weitere musikalische Entwicklung der Band wenig spannend und zu radioorientiert erscheint, so ist ihnen bis heute kein Ausverkauf vorzuwerfen. Drei Alben haben die vier Jungs aus London bis heute veröffentlicht. Da ist, vor allem vor dem Hintergrund ihres Könnens, noch vieles möglich. Wir schreiben Mumford & Sons definitiv nicht ab. Derweil habe ich immer Stift und Papier im Handschuhfach.

Unnützes Kneipenwissen I: Der Albumtitel Sigh No More entstammt eines Verses aus Shakespeares Viel Lärm um Nichts. Weitere Verspassagen finden sich über die einzelnen Songs des Albums verteilt. Generell nimmt die Lyrik viel Raum in den Texten der Band ein. Passagen aus Timshel und Dust Bowl Dance stammen aus Früchte des Zorns vom Lieblingsautors Marcus Mumfords John Steinbeck.

Unnützes Kneipenwissen II: Marcus Mumford wurde dank seiner Präferenz zu Westen unfreiwillig zu einer kleinen Stilikone. Der Grund warum er als junger Mann zu einem solchen Kleidungsstück greift: “Ich bin sehr unsicher was mein Gewicht betrifft. Unter einer Weste lässt sich mehr verstecken”.

… echt? …

Unnützes Kneipenwissen III: Little Lion Man wäre ohne das Eingreifen Marcus Mumfords Mutter nicht auf der Platte erschienen. Dank der prominenten Platzierung des F-Wortes im Refrain, bat die Plattenfirma um ein massentaugliches Synonym. Nachdem die Band keines passend fand, bat Mumford seine Mutter um ihren Segen. Ganz Familienoberhaupt sprach diese gegenüber der Plattenfirma ein Machtwort: “Es gibt kein anderes Wort was passt, es muss also dieses sein.”. Ergebnis bekannt.

 

Anspieltipps: Dust Bowl Dance, The Cave, Little Lion Man

Höre ich dann am liebsten: Wenn ich Whisky trinken würde, bei einem richtig guten Glas Single Malt.

 


Wenn euch die Sahneplatte gefällt, schaut doch in der Plattenkiste vorbei. Da gibt es noch ganz viele weitere hervorragende Musik und spannende Geschichten.



Mumford & Sons – Sigh No More

Genre:Rock
Stil:Folk Rock, Indie-Folk
Jahr:2009
Anzahl Titel:12
Laufzeit:48:33

Tracklist

Sigh No More3:27
The Cave3:37
Winter Winds3:39
Roll Away Your Stone4:23
White Blank Page4:14
I Gave You All4:20
Little Lion Man4:06
Timshel2:53
Thistle & Weeds4:49
Awake My Soul4:15
Dust Bowl Dance4:43
After the Storm4:07