Vor knapp zwanzig Jahren gab es in Trier ein kleines Independent-Kino namens “Royal”. Mit einem einzigen Saal, der, nach alter Tradition, leicht abschüssig verlief. Fiel ein Getränk um, rollte es langsam, aber beharrlich in Richtung Leinwand. Ein Riesenspaß. Jeden Freitagabend lief die “Sneak Preview” eines in Kürze erscheinenden Films. Dieser Freitagabend war eine ganze Zeit fester Bestandteil der Wochenendplanung. Wir rätselten zu “Sixth Sense“, wunderten uns bei “Pleasentville” oder blieben standhaft sitzen bei “South Park – Der Film“. Ein Film ist bis heute unvergessen. Brad Pitt und Edward Norton prügeln sich durch die urbane Düsterkeit, bis am Ende alles in sich zusammenstürzt. Die Endszene ist untermalt mit einem Song, der wie dafür komponiert zu sein scheint. Dabei ist er 1999 bereits elf Jahre alt. Er wird in den kommenden Jahren mein Dasein prägen. “Fight Club”. Pixies. Where Is My Mind?

Boshafte, kleine Elfen

Black Francis (mit bürgerlichem Namen Charles Thompson IV (!)) und Joey Santiago leben Tür an Tür auf dem Campus der Amherst Universität in Boston. Da sie nebeneinander wohnen, fällt beiden rasch auf, dass sie das Gitarre spielen verbindet. Anfang 1986 gründen sei eine Band, mit der ersten Aufgabe, per eigenwilliger Zeitungsannonce eine Bassistin zu suchen. Voraussetzung: Sie soll gleichermaßen die Punkmusik von Hüsker Dü, wie die Folkmusik von Peter, Paul and Mary mögen. Eine einzige Person meldet sich und bestätigt die Voraussetzungen. Sie mag Punk und Folk und ist eine Frau. Einzige Herausforderung: Sie besitzt keinen Bass und hat noch nie auf einem gespielt. Allerdings beherrscht sie Gitarre und kann sich den Bass von ihrer Zwillingsschwester leihen. Kim Deal ist eingestellt und schlägt kurze Zeit später einen Schlagzeuger vor. David Lovering komplettiert die Band und Joey Santiago findet per “Sag mal Stopp”-Mechanik im Wörterbuch den Bandnamen. Pixies.

Der Band gefällt die Definition als “boshafte, kleine Elfen” und spielt die ersten kleinen Konzerte in den Bars von Boston. Als sie einen Support für Throwing Muses spielen, beeindrucken sie nachhaltig den Produzenten Gary Smith. Er ermöglicht ihnen für 1.000 $, die sie sich von Francis Vater leihen, die Aufnahme eines Demotapes in seinem Studio. Nach drei Tagen sind die Songs im Kasten und bilden für kommende Aufnahmen die “Ursuppe” ihrer Musik. Die 17 aufgenommenen Songs bezeichnet die Band als “The Purple Tape”. Dieses gelangt über lokale Beziehungen zum britischen Independent-Label 4AD, die nach anfänglichen Zweifeln, ob der Tauglichkeit der Songs, die Pixies unter Vertrag nimmt. Acht Songs des “Purple Tape” bilden 1987 das erste Minialbum der Band Come On Pilgrim.

Laut/Leise

Nur ein Jahr später, veröffentlichen die Pixies ihr Debütalbum Surfer Rosa. Als Produzenten schlägt die Plattenfirma 4AD Steve Albini vor, der den Sound der Band entscheidend prägt. Die Aufnahmen dauern zwei Wochen und kosten insgesamt schlappe 10.000 $. Albinis Lohn beläuft sich auf 1.500 $. Ohne weitere Prämien, die Albini generell ablehnt. Er konfrontiert die Band mit ungewöhnlichen Aufnahmetechniken. So verpflanzt er beispielsweise die gesamte Technik in ein Badezimmer um Atmosphäre zu erzeugen. Oder er lässt Black Francis durch eine Gitarren-Amp singen. Der auf Surfer Rosa produzierte Schlagzeugsound, setzt in seiner Wucht bis heute Maßstäbe. Albini kreiert den “quiet-loud sound”, den Lautstärkewechsel zwischen Refrain und Strophe. Dieser gilt in den kommenden Jahren im Grunge und Alternative Rock als stilbildend. 1991 gipfelt eine kleine Band aus Aberdeen, Washington mit dieser Technik in eines der erfolgreichsten Alben der Musikgeschichte:

“I tried to write the ultimate pop song and was basically trying to rip off the Pixies. I have to admit it [smiles]. When I heard the Pixies for the first time, I connected with that band so heavily I should have been in that band — or at least in a Pixies cover band. We used their sense of dynamics, being soft and quiet and then loud and hard.” – Kurt Cobain, Rolling Stone, 1993

“Try this trick and spin it, yeah”

Surfer Rosa erscheint im März 1988 in Großbritannien. Bis August ist die Platte in der Heimat der Pixies lediglich als Import erhältlich, da die Plattenfirma keinen Vertrieb für außerhalb Großbritanniens besitzt. Erst 1992 erscheint es in den USA als Einzelwerk. Als Independent veröffentlicht und ohne große Verkaufszahlen und Medienpräsenz gesegnet, gilt Surfer Rosa als Referenzwerk für die kommenden Jahre. Radiohead, Blur, Nirvana oder die Smashing Pumpkins geben Surfer Rosa als maßgeblichen Einfluss ihrer Musik an. Was Joy Division Ende der 1970er-Jahre für New Wave und Postpunk sind, sind die Pixies knapp ein Jahrzehnt später für den Alternative Rock. Großes entsteht aus Kleinem. DIY gegen Haarspray und Glam-Metal.

Surfer Rosa ist nicht perfekt. Produktion und Inszenierung sind, nennen wir es, ursprünglich. Dennoch besitzen die Songs, die kaum über zwei Minuten gehen, viele Popattitüden. Im Zentrum ragen Gigantic und Where Is My Mind? heraus. Gigantic ist einer von zwei Songs der Pixies, bei denen Kim Deal den Leadgesang übernimmt und ihm dadurch Leichtigkeit und etwas Bezauberndes verleiht. Where Is My Mind? ist für mich ein Jahrhundertsong, bei dem es schwer fällt zu glauben, dass er aus den 1980ern stammt. Unglaublich zeitlos und mit einer unvergleichlichen Atmosphäre gesegnet, kommt er erst elf Jahre nach seinem Erscheinen zu späten Weihen. Prominent eingebunden in der Endsequenz in David Finchers Meisterwerk Fight Club. Manche Stimmen aus meinem Umfeld bezeichnen ihn seitdem als “abgenudelt”, ich kann das nicht verstehen. Für mich gerne jeden Tag.

Der letzte Tanz

Auf den Uni-Partys meines Fachbereichs legte stets der gleiche DJ auf. Dieser war kein großer Freund von Veränderungen und stellte seine Playlist über einen Zeitraum von drei, vier Jahren kaum um. So war Where Is My Mind? für mich jahrelang der Aufruf, den letzten Zug zu erwischen oder mich, ab jetzt, um eine alternative Schlafgelegenheit zu kümmern. Der Song kam konstant gegen halb fünf morgens. Der letzte benebelte Tanz der Nacht. Die letzten Töne auf dem Nachhause-Stolpern. Die Pixies werden mit Surfer Rosa zur Stilikone einer ganzen Generation von Rockbands. Ohne jemals den Status “Independent” zu verlieren. Wegen den Pixies gehen wir in dampfende Kellerclubs. Wir nehmen Instrumente in die Hand und gründen Bands. Und dank der Pixies sind Bassistinnen per se sexy. Die Nachfolgealben Doolittle (1989) und Bossanova (1990) bilden eine kleine Sahneplatten-Reihe, die ich in Zukunft fortsetze. Versprochen! Bis dahin bitte Fight Club schauen oder Surfer Rosa hören.

Unnützes Kneipenwissen I: Kurt Cobain war von den Pixies, und Sufer Rosa im Besonderen, dermaßen angetan, dass er Steve Albini für die Produktion von In Utero überredete. Dieser sollte dem 1993 erschienenen Nachfolger von Nevermind mehr Kraft verleihen.

Unnützes Kneipenwissen II: In Ermangelung an unnötigen Gedanken spielten die Pixies in ihren frühen Jahren auf Konzerten die Songs in alphabetischer Reihenfolge.

… so viel zu erzählen …

Unnützes Kneipenwissen III: Fanboy vs. Idol. Kurt Cobain über den Song Gigantic: “I wish Kim was allowed to write more songs for the Pixies, because Gigantic is the best Pixies song and Kim wrote it.” Kim Deals in sich ruhende Reaktion: “Well, it’s better than somebody saying, ‘Oh God, you suck.'”

Unnützes Kneipenwissen IV: Am 13. Juni 2004 nutzte die NASA Where Is My Mind? als Weckruf für die Mannschaft des Mars Rovers “Spirit”.

 

Anspielttipps: Where Is My Mind?, Gigantic, Cactus, I’m Amazed

 


Wenn euch die Sahneplatte gefällt, schaut doch in der Plattenkiste vorbei. Da gibt es noch weitere hervorragende Alben und spannende Geschichten.



 

Pixies – Surfer Rosa

Genre:Rock
Stil:Indie Rock, Alternative Rock
Jahr:1988
Anzahl Titel:13
Laufzeit:32:50

Tracklist

Bone Machine3:02
Break My Body2:05
Something Against You1:47
Broken Face1:30
Gigantic3:55
River Euphrates2:33
Where Is My Mind?3:53
Cactus2:16
Tony's Theme1:52
Oh My Golly!1:48
Vamos4:18
I'm Amazed1:42
Brick Is Red2:00