Zum Abschluss der kleinen Themenwoche umreiße ich noch einmal mit weit fuchtelnden Armen die deutsche Jugend- und Musikkultur. Der WDR brachte 1999 eine zwölfteilige Dokumentation ins Fernsehen, die sich umfangreich und lückenlos diesem Thema annimmt. “Pop 2000” behandelt detailliert 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland. Beginnend mit den Gründungsjahren der Bundesrepublik und endend mit dem bangen Blick ins neue Millennium. Auch wenn die Reihe seit 17 Jahren abgeschlossen ist, schaue ich sie mir immer wieder gerne an. Pop 2000 bietet hervorragende Ansätze, sich mit der Historie und den Erfahrungen der Eltern- oder Großelterngeneration auseinanderzusetzen. Der ein oder andere Gesprächsstoff für den familiären Essenstisch frei Haus.
“Macht kaputt was euch kaputt macht”
Die “Amerikanisierung” der Jugend durch den Rock ‘n Roll der 1950er Jahre. Die Beatmusik der 1960er. Flower-Power, Krautrock, Punk oder Disco der 1970er. Neue Deutsche Welle, Liedermacher und Synthiepop der 1980er. Techno, Eurodance und Hip-Hop in den 1990ern. Jedes Kapitel wird mit Aussagen von Zeitzeugen, fantastischem Bildmaterial und der charmanten Stimme von Otto Sander unterhaltsam nahegebracht. Sehr belustigend, wie jung manche Kommentatoren 1999 noch waren, beispielsweise Heike Makatsch, Til Schweiger oder Herbert Grönemeyer. Andere wiederum sind heute nicht mehr unter uns, wie Klaus Renft, Holger Czukai oder Drafi Deutscher. Auch Otto Sander starb im Jahr 2013. Die Einspieler aus vergangenen Fernsehbeiträgen sind sowieso der Knaller. Alleine der Begriff “Saul-Platten” aus den 1970er-Jahren. Zum kringeln.
Die deutsche Musik- und Jugendkultur hat wahrlich einen weiten Weg hinter sich. Zu jeder Bewegung gab es eine Gegenbewegung, obwohl die Wurzeln beider Seiten oft gemeinsame Nahrung ziehen. Rock ‘n Roll vs. Schlager. Disco vs. Punk. Popper vs. Teds. Auch ordnet Pop 2000 die Stile und Subkulturen dem politischen Kontext seiner Zeit zu. Dualismen werden offensichtlich. Eine Jugendkultur birgt immer ein Auflehnen gegen des Etablierte. Das Spannende ist vor allem die parallele Betrachtung der Entwicklung in Ost- und Westdeutschland. Hier bieten sich ebenfalls rotweingeschwängerte Dialoge mit Freunden, Familie oder Bekannten an.
Heute frei verfügbar
Dank des allmächtigen Internets gibt es die Dokumentation seit einigen Jahren frei verfügbar bei Youtube. Einige kleine Passagen sind aufgrund der Rechtslage zensiert, dies stört aber keineswegs den Sehgenuss. Da der kleine Impuls namens “Bildungsauftrag” leise in meiner Hirnrinde pocht, bette ich euch eine Playlist mit allen Folgen der Doku ein. Ich würde mich freuen, wenn ihr an einem verregneten Sonntag Netflix einmal Netflix sein lasst und Pop 2000 eine Chance gebt. Bitte teilt mir unbedingt mit, wie ihr es findet.
Interessant finde ich es, die Reihe um die letzten 20 Jahre weiterzuspinnen. Es ist so viel passiert. Was wären die Themen? Internet? 11. September? Castingshows? Indiemusik? Popschlager? Smartphones? Alles Dinge, die heute für uns selbstverständlich sind und jüngere Leser gar nicht anders kennen. Schlussendlich hat Pop 2000 zusätzlich eine umfangreiche CD-Box hervorgebracht, die das musikalische Spektrum der Dokumentation umfassend aufgreift. Natürlich habe ich sie mir vor Jahren zum Geburtstag gewünscht … So, genug geschwärmt, kocht euch einen Tee, ab auf die Couch und schaut es euch an. Viel Spaß bei ganz viel deutscher Kultur- und Zeitgeschichte.
Unnützes Kneipenwissen: Pop 2000 erhielt im Jahre 2000 den Adolf-Grimme-Preis.
Begegnen dir auch Sahnestücke, die dich erheitern oder staunend zurücklassen? Was hat dich zum Lachen gebracht? Was hat dich beeindruckt? Erzähle es mir, ich freue mich sehr über neue Entdeckungen und Stilblüten. Schreibe mir unter Kontakt einfach mit einem kurzen “Hallo” und bestenfalls einem Link zu deinem Sahnestück. Gerne halte ich freitags einen Podestplatz für dich frei!
20. Oktober 2017 um 8:38 Uhr
Super, schaue ich mir am Abend in Ruhe an. Danke für den Tipp!! 🙂
20. Oktober 2017 um 10:07 Uhr
Oh ja, bitte! Und sage mir bitte wie du es findest,…:)
20. Oktober 2017 um 13:01 Uhr
Ja, mach ich! 🙂
20. Oktober 2017 um 9:12 Uhr
Dito. Werd ich auf jeden Fall anschauen, Danke für den Tipp!
20. Oktober 2017 um 10:08 Uhr
Ja, mach das bitte. Danach bitte ein Historiker-Feedback…:)
20. Oktober 2017 um 10:10 Uhr
Bekommste 🙂
20. Oktober 2017 um 10:49 Uhr
Das schaue ich mir auf jeden Fall konzentriert an. Schließlich umfasst der Zeitraum so ziemlich meine musikalische Entwicklung – die noch nicht abgeschlossen ist. Wobei unsere Kinder, heute schon sehr erwachsen, ab den Achtzigern die gleichen Hörerfahrungen haben, von denen sie heute noch zehren. Und umgekehrt haben sie im Laufe der Jahre uns neue nahegebracht. Immer Musik jeglicher Ausrichtung und reger Austausch.
20. Oktober 2017 um 10:56 Uhr
Oh ja, das beschreibts du sehr schön! Ich finde natürlich gerade die Folgen, die in meiner Kindheit und Jugend spielen (80er 90er) besonders interessant. Da erkenne ich so unglaublich viel wieder…:)
Es ist wirklich sehr schade, dass diese Doku nie auf DVD aufgelegt wurde…
Schön, dass du vorbei schaust, fühl dich wohl…:)
20. Oktober 2017 um 21:57 Uhr
Ich bin gerade mittendrin (also es zu schauen)… großartig!! Ich muss ständig schmunzeln… ‘Halbstarke, Medien, die Jugend verkommt etc’… Als hätte man aktuelle Zeitungsartikel gelesen. Genau das sage ich auch immer, dass jede Jugend ihres hat und es immer so sein wird, dass man auf Unverstädnis trifft, weil die ‘eigene’ Zeit ja am besten war. 😀 Meine Oma ist 90 Jahre alt gewesen als sie starb, die war recht locker… Mein Vater ziemlich streng und sie sagte eben auch, dass es ein Zeichen von Fortschritt und Entwicklung ist, das wäre immer schon so gewesen… Hach, ich mag das, weil es mir in vielen Dingen, meines Denkens nochmal ein wenig Bestätigung gibt… So, ich gucke weiter… (Fehler sind Gratis, ich hatte ein Glas Wein und dieser schoss heftig in die Birne^^)
20. Oktober 2017 um 22:08 Uhr
Hehe, sehr cool! 😊😊… Vielen Dank für das tolle Feedback und viel Spaß weiterhin! 🤘😊
3. April 2018 um 12:25 Uhr
Okay, die Reihe ist gut. Interessant wie die Band Hölderlin die Gängelei beschreibt, die sie erfuhr. Wie Eroc zugibt, “Autobahn” eigentlich nicht gemocht zu haben, aber nun doch Zeitgeist zubilligt. Entlarvent ist allerdings der Blick auf den Osten, der 1999 ja fast 10 Jahre dazu gehörte. Der Westen feiert sich selbst und gewährt Klaus Renft eine Minimalnische. Die Ostrockentwicklung kommt zu kurz.
3. April 2018 um 12:57 Uhr
Siehst du, das ist ein Punkt, den ich interessant finde, da mir die Erfahrung “am eigenen Leib” fehlt. Finde ich spannend, dass aus einer Sicht eines Invovlierten zu erfahren.
Für mich wird der “Westen” nicht glorifiziert, ganz im Gegenteil, finde die differente Entwicklung der Jugendkultur in Ost und West ganz gelungen, “unterhaltsam”, dargestellt…;)
3. April 2018 um 16:46 Uhr
Habe heute noch mal mich bejuhtupt und muss meinen Kommentar von oben teilweise revidieren, ab Folge 7 (NDW-Zeit) wird das mit der Ostrockeinbeziehung besser. Lag vielleicht daran, dass sie aus den 70ern zuvor kaum Filmmaterial hatten. Hab wohl die späteren Teile damals nicht gesehen – oder vergessen.
3. April 2018 um 16:57 Uhr
Das erklärt deine Meinung… 😉😉 Danke dafür 😊