Heute wird es persönlich. Irgendwie ist mir danach. Vielleicht liegt es an der Jahreszeit, vielleicht am Dauerregen, vielleicht am permanenten Grau des ganzen Drumherums. Es gibt Momente der Dunkelheit, in denen ein Ton sofort eine Phalanx des Schutzes aufbaut. Ich habe vor ein paar Tagen für einen Kunden aus der Medizinbranche einen Text über “Angst” verfasst. Die Wissenschaft liefert uns die Erkenntnis, dass Musik beruhigt und entspannt. Wieder den Fokus auf das eigene Körperempfinden rückt. Empfänglich macht, für positive Gedanken. Musik hilft. Immer wenn ich mich einsam fühle, höre ich das zweite Album von den Editors. Die enorme Bandbreite der Songs ist für mich hochemotional. In verschiedenste Richtungen. Sobald Tom Smith auf An End Has A Start seine Stimme erhebt, ist da keine Dunkelheit mehr.
“Who’s the Pilot?”
Mitte der 2000er-Jahre erlebt Großbritannien eine große Flut an neuen Indie-Bands. Sie orientieren sich am New Wave oder Post-Punk der frühen 1980er-Jahre. Liebend gerne stellen sie dabei ihrem Bandnamen bedeutungsschwanger ein “The” vor. Birmingham hat zu jener Zeit keine große Musikszene. Die glanzvolle Zeit der Stadt, einhergehend mit dem frühen Heavy Metal um Black Sabbath ist lange vorbei, lokale Bands spielen in kleinen Clubs oder Bars. Tom Smith, Russell Leetch, Chris Urbanowicz und Ed Lay studieren gemeinsam Musikwissenschaften an der Staffordshire University in Birmingham. Da sie sowieso den ganzen Tag zusammen sind, liegt es nahe, sich mit einer eigenen Band zu versuchen. Sie gründen 2002 die Band Pilot und merken, nachdem sie hunderte Sticker mit ihrem Bandnamen im College anbringen, dass es bereits in den 1970er-Jahren eine schottische Band gleichen Namens gab. Dumm gelaufen.
Zwei Jahre und zwei Umbenennungen später, nehmen sie ein Demo eines Songs mit dem Namen Bullets auf. Dieses versenden sie an diverse Indie Labels im Land und laden diese nach Birmingham ein, zu ihrem Livekonzert zu kommen. Der Plan geht auf. Sie unterzeichnen einen Plattenvertrag beim Indie Label Kitchenware Records und nennen sich ab sofort Editors (ohne “The”). Ihre Debütsingle Bullets landet im Radioprogramm von BBC 1 und verschafft der jungen Band Aufmerksamkeit. Die lediglich 1.000 gepressten Singles sind sofort ausverkauft. Mit Munich und Blood platzieren Editors ihre zwei nächsten Singleveröffentlichungen in den britischen Top 20, bevor im Juli 2005 ihr Debütalbum The Back Room (mit “The”) erscheint. Die Kritik ist begeistert, die Verkaufszahlen spülen das Album in die britischen Top Ten und knacken nach zwei Jahren die Millionengrenze.
Emotionaler Kraftakt
Nach zahlreichen Konzerten und Festivals, machen sich Editors 2006 an die Aufnahmen zu ihrem zweiten Album An End Has A Start. Die Songs werden tiefsinniger, abwechslungsreicher und eignen sich weniger für den Tanzflur als die hibbeligen, treibenden Songs des Vorgängers. Tom Smith singt über Trauer und Verlust, um im nächsten Moment einen melodisch wunderschönen Refrain zu beginnen, der einem einen schweren, warmen Mantel über die entkräfteten Schultern legt. Geschichten vom traurigen Anblick rauchender Menschen vor Krankenhaustüren oder dem Getrieben Sein und doch nicht Loskommen (Racing Rats). Verlassen Werden (An End Has A Start) gipfelt in verzweifeltem Luftschnappen (Push Your Head Towards The Air). Und als gerade alles zu Ende zu sein scheint, hämmert Escape The Nest die Gitarren ins eigene, gemeinsame Fotoalbum. So, dass alles einen Sinn hat. Am Ende gewinnt in Well Worn Hand das Vertraute und Erlebte.
Der eher drahtige Tom Smith erinnert mit seiner tiefen, schweren Stimme ebenso an frühe New Wave-Heroen (Joy Division), wie an aktuelle Epigonen des Post Punks (Interpol). Er hat die Gabe, mit seinen Songs in den absoluten Besitz des eigenen Kopfes zu gelangen. Zumindest bei mir. Gleichzeitig Dunkelheit zu schaffen und zu vertreiben. Anklagen und die Hand zu reichen. Ein Kaminanzünder in der letzten Höhle des Passes. An End Has A Start schafft es auf Platz #1 der britischen Albumcharts und lässt die Band vor 12.000 Menschen in ihrer Heimatstadt auftreten. Editors haben es mit der Veröffentlichung ihres zweiten Albums 2007 geschafft. Aber diesen emotionalen Kraftakt in der Folge zu wiederholen ist nicht möglich, das weiß die Band. Auf ihrem Folgealbum In This Light And On This Evening brechen sie mit ihrer bisherigen Musik, behalten dabei aber ihre Tiefe.
Teppich und Heizung
Wie es der erste, persönliche Abschnitt bereits beschreibt, ist An End Has A Start eine der emotionalsten Platten meines eigenen Musikspektrums. Vielleicht DIE emotionalste Platte. Ich denke an nochmal Gas geben auf langen Autofahrten im Dunkeln (Racing Rats), Bäume ausreißen auf euphorisierten Rückwegen von Prüfungen (An End Has A Start) oder einfach daliegen und stumm verarbeiten (Push Your Head Towards The Air, Well Worn Hand). Die Kernbotschaft lautet, “Es gibt immer einen Weg der glücklich macht”. Entweder bist du drauf, du stolperst rein oder jemand zieht dich am Ohr. Aber gehen musst du ihn. Am besten hörst du dabei Editors. Zerbrechen gilt nicht!
Unnützes Kneipenwissen: Während den Aufnahmen verlor Tom Smith seinen sehr geliebten Großvater. Darüber hinaus starb ein guter Freund im Zuge eines homophoben Angriffs. Gerade vor diesem Hintergrund betonte er wiederholt, dass das Album nicht nur von Tod, Trauer und Angst handelt. Jeder soll daraus auch Gutes und Hoffnungsvolles ziehen.
Anspieltipps: An End Has A Start, Racing Rats, Smokers Outside The Hospital Doors, Escape The Nest, Push Yor Head Towards The Air … eigentlich alles
Höre ich dann am liebsten: Auf einer langen Autofahrt, wenn der Rücken schmerzt. Egal wie dunkel es ist.
Wenn euch die Sahneplatte gefällt, schaut doch in der Plattenkiste vorbei. Da gibt es noch ganz viele weitere hervorragende Musik und spannende Geschichten.
Editors – An End Has A Start
Genre: | Rock |
Stil: | Indie-Rock, Post-Punk |
Jahr: | 2007 |
Anzahl Titel: | 10 |
Laufzeit: | 44:40 |
Tracklist
Smokers Outside the Hospital Doors | 4:57 |
An End Has a Start | 3:45 |
The Weight of the World | 4:18 |
Bones | 4:06 |
When Anger Shows | 5:45 |
The Racing Rats | 4:17 |
Push Your Head Towards the Air | 5:44 |
Escape the Nest | 4:43 |
Spiders | 4:00 |
Well Worn Hand | 2:54 |
29. Januar 2018 um 13:22 Uhr
Grossartiges Album!
29. Januar 2018 um 14:05 Uhr
In der Tat! 🙂