Musik besitzt den Sinn und Zweck, schöne Momente zu untermalen. Sie dient als “Assoziationskleber”, der uns als Impuls hilft, Gefühle, Bilder und Stimmungen aus dem Unterbewusstsein hervorzukramen. Wie eine Umzugskiste, die jahrelang auf dem Dachboden vor sich hin staubt und beim zufälligen Entdecken ein “Ach, hier!” entlockt. Ganz viele Alben, über die ich im Rahmen der Sahneplatten schreibe, sind für mich solche “Synapsenkitzler”. Allerdings ist es langweilig, wenn ich Woche für Woche schreibe, dass ich mich beim Lauschen der aktuellen Scheibe mal wieder “jung und unbeschwert” fühle. In dieser Woche komme ich um diese Aussage schwer herum, ist die heutige Sahneplatte ein Sinnbild an jugendlicher Leichtigkeit und Tatendrang. Der Titel “Young For Eternity” ist mehr als eine Plattitüde. Die drei Mitglieder von The Subways sind zum Zeitpunkt der Aufnahme im Schnitt nicht älter als 18 Jahre. Und malen ein Album mit Wasserfarben.
Hilf dir selbst
Welwyn Garden City, Hertfordshire. 30 Minuten nördlich von London. Eine typisch britische Kleinstadt ohne erwähnenswerte Besonderheiten. Die beiden Brüder Billy Lunn (Gitarre) und Josh Morgan (Schlagzeug) vertreiben sich abseits der Schule die Zeit mit Musik. Da sie sich kein Musikunterricht leisten können, leben sie unbekümmert ihren Kleinstadt-Traum: Rumschrammeln, Haare wachsen lassen, versuchen cool zu sein. Mangels besonderer Fähigkeiten beginnen sie, mehr schlecht als recht, Nirvana– und Green Day-Songs nachzuspielen. Sie nennen sich Mustardseeds oder Playtypus. Bandnamen, auf die nur Jugendliche kommen. Sie nehmen die Freundin von Billy, Charlotte Cooper, als Backgroundsängerin dazu und drücken ihr einen Bass in die Hand. Das Line-Up ist fertig, mit jugendlichem Elan geht es an die ersten kleinen Auftritte in der lokalen Umgebung.
In jungen Jahren ist der Geldbeutel schmal, so erschließen sich The Subways, wie sie sich letztendlich nennen, neue Einnahmequellen. Die semiprofessionelle Aufnahme eines ihrer Livekonzerte verkaufen sie auf Gigs und der von Billy Lunn selbstgebastelten Website. Diese ist zu jener Zeit ein Novum, bevor selbst professionelle Bands sich im Internet präsentieren. Ihre Umtriebigkeit und ihre Überzeugung in jungen Jahren zeigt sich in einer weiteren Problemlösung: Aufnahmen in einem richtigen Tonstudio sind für The Subways schlicht zu teuer. So sammeln sie ausrangiertes Studioequipment und richten sich im Elternhaus eine eigene Aufnahmemöglichkeit ein. Damit eröffnen sie anderen kleinen Bands aus der Umgebung, die vor dem gleichen Problem stehen, deren Aufnahmen zu produzieren. Gegen eine Aufwandsgebühr. Zwei Fliegen, eine Klappe. Der DIY-Gedanke trägt die Band durch die Anfangszeit.
Roh und unsauber
Eine dieser produzierten Lokalbands ermöglicht Billy Lunn, dessen Demotape an einige Clubs und Konzertveranstalter in London zu schicken. Auf diesem Wege geraten The Subways an Michael Eavis, der einen Wettbewerb für Bands ohne Plattenvertrag veranstaltet. Der Gewinner erhält einen Auftritt auf dem Glastonbury Festival. The Subways zeigen sich interessiert an der Idee, versenden ihr Demo und gewinnen den Wettbewerb. Der Auftritt auf dem Festival im Jahr 2004 wird zur Initialzündung für die Band. Eine erste kleine Tour durch 35 Städte in Großbritannien folgt und der berühmte Radio-DJ John Peel spielt ihre erste Single At 1am im nationalen Rundfunk. Ende des Jahres unterzeichnen The Subways ihren ersten Plattenvertrag bei City Pavement & Infectious Records und beginnen mit den Aufnahmen zu ihrem Debütalbum.
Als Produzenten gewinnen sie Ian Broudie, Frontmann der britischen Kultband Lightning Seeds. Er passt hervorragend in das Konzept der Platte, da er einen rohen und unsauberen Sound bevorzugt, der perfekt mit dem Songwriting der drei Jugendlichen harmoniert. Young For Eternity erscheint im Juli 2005, mitten ins Herz des britischen Indie- und New Wave-Revivals. The Subways klingen anders und orientieren sich am Grunge-, Punk- und Alternative-Sound der amerikanischen 90er-Jahre. In einigen Songs ergänzt Charlotte Cooper die raue Stimme von Billy Lunn. Mal schnodderig (City Pavement), mal glockenklar (Lines Of Light). Die Orientierungslosigkeit ist, in meinen Augen, eine große Stärke von Young For Eternity. Wie Teenager so sind. With You erinnert an Muse, Holiday an die Buzzcocks. Das sanfte No Goodbyes fällt mit seinem Shoegaze-Indie aus dem alternativen Rahmen, und schenkt dem Hörer einen Ohrwurm.
“You are the sun, you are the only one”
Die Spitze an Dynamik und Explosivität bilden die beiden Singles Oh Yeah und Rock & Roll Queen, die beide, vor allem auf der Bühne, eine hervorragende Gelegenheit zum “Halt’ mal mein Bier” bieten. Rock & Roll Queen, welches Lunn für Cooper schreibt, ist für mich das best-untypischste Liebeslied überhaupt. Der Text: Jugendlich minimalistisch. Der Sound: Jugendlich brachial. Aber, die Kernaussage der Zuneigung perfekt auf den Punkt gebracht. Kein Wort zu viel. Kein Wort zu wenig. In den Momenten, in denen Lunns Stimme sich vor Eifer überschlägt, sind The Subways am stärksten. Young For Eternity will nicht perfekt sein, sondern so authentisch und lebensfroh, wie ein 18-jähriger sein kann. Das macht die Platte so charmant.
Young For Eternity erreicht in Großbritannien Goldstatus und bringt der Band zahlreiche Fans. Die Beziehung von Lunn und Cooper zerbricht noch vor der Veröffentlichung ihres zweiten Albums All Or Nothing 2007. Die Band bleibt dennoch zusammen und die beiden Freunde. Bis heute veröffentlichen The Subways vier Alben und gewinnen mit ihren Livekonzerten prominente Fans, wie Paul Weller, Liam Gallagher und Dave Grohl. So explosiv, voller Tatendrang und unperfekt wie auf Young For Eternity klangen sie nie mehr. Wenn ihr jemanden wirklich gerne habt, spielt ihm Rock & Roll Queen vor. Es braucht keinen Lyrikbaukasten, um zu zeigen, was du empfindest. Wenn du älter wirst, neigst du dazu, Dinge zu verkomplizieren und zu verkopfen. Einfach mal machen! Für diesen Ratschlag laden wir unser jugendliches Ich auf ein Bier an die Theke ein.
Unnützes Kneipenwissen I: Trotz verschiedener Nachnamen sind Billy Lunn und Josh Morgan Brüder. Lunn benutzt im Kontext der Band den Namen seines Großvaters.
Unnützes Kneipenwissen II: Auf Konzerten und Festivals in Deutschland singt Billy Lunn die zweite Strophe von Rock & Roll Queen ab und an in Deutsch. Was sich aufgrund der überschaubaren und geradlinigen Lyrik schnell nach Rammstein anhört. “Du bist die Sonne, Du bist die Einzige …”
… weiter geht’s …
Unnützes Kneipenwissen III: Schlagzeuger Josh Morgan legt 2015 eine temporäre Bandpause ein, da er unter Angstattacken, ausgelöst durch das Asperger Syndrom, leidet.
Anspieltipps: Rock & Roll Queen, Oh Yeah, I Want to Hear What You Have Got to Say, Mary, No Goodbyes
Wenn euch die Sahneplatte gefällt, schaut doch in der Plattenkiste vorbei. Da gibt es noch weitere hervorragende Alben und spannende Geschichten.
The Subways – Young For Eternity
Genre: | Rock |
Stil: | Alternative Rock, Indie Rock |
Jahr: | 2005 |
Anzahl Titel: | 13 |
Laufzeit: | 42:26 |
Tracklist
I Want to Hear What You Have Got to Say | 3:24 |
Holiday | 1:50 |
Rock & Roll Queen | 2:50 |
Mary | 2:59 |
Young for Eternity | 2:06 |
Lines of Light | 2:12 |
Oh Yeah | 2:57 |
City Pavement | 2:44 |
No Goodbyes | 3:30 |
With You | 3:00 |
She Sun | 3:20 |
Somewhere | 4:46 |
At 1 AM | 1:51 |
4. Juni 2018 um 17:51 Uhr
Oh Mann! Due kannst es echt! Diese Gefühlswallung wieder heraufholen, wie es ist, wenn man sich mit ca. 18 von einem Song/einer Band so richtig verstanden fühlt!
The Subways? Nie gehört. Subway to Sally kenn ich und mag ich, aber ich will auf was anderes hinaus:
Dieses von dir beschriebene Gefühl hatte ich mit ca. 16 als der “Musikladen” (ARD) “Ichiquoopark” von den Small Faces als “Superoldie” gewinnen ließ und den alten “BEat-Club” Auftritt ausspielte.
Dann noch mal mit 18: “Info-Show” (ARD; Punkspecial) sendet erstmalig Sex Pistols, Stranglers, Buzzcocks…
Und zum Dritten: Ich war 21, von der Fahne zurück und stehe tief betroffen und “voll geflashed” (würde man heute sagen) in meinem ersten Pankow-Konzert: “Paule Panke-der Alltag eines Lehrlings” bringt Song für Song rüber, was mich alles angekotzt hat früher beim “Unterrichtstag in der Produktion” (UTP) und was nun erst recht scheiße wäre, wenn man so eine Schraubstocklehre hätte machen müssen – das festigte die “Liebe” zum Studienplatz und ließ sooooo wundern, was da plötzlich alles ging! Wieso wurden die nicht verboten, wie Renft zuvor?
Klar, ne LP gab es damals dazu nicht, die kam dann 1990 im Untergangswirrwarr heraus. Aber mit dem Stück hab ich sie 4x live gesehen und niemand wurde verhaftet! Grandios!
4. Juni 2018 um 17:58 Uhr
Über Pankow sprachen wir ja bereits… 😊 Mit großem Interesse habe ich viele Jahre später die Entwicklung der Popmusik in der DDR retrospektiv verfolgt. Pankow sind echt interessant und ich kann total nachvollziehen, dass das für einen Bewohner des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates wie eine Befreiung in punkto Rückgrat und Meinungsfreiheit vorgekommen sein muss… Eine irre spannendes Kapitel deutscher Musikhistorie… 😊👌
Die Small Faces hießen doch zuerst nur The Faces, oder? War das nicht die Bande mit Rod Stewart??? 🤔🤔😂😂
4. Juni 2018 um 18:06 Uhr
Andersrum: Erst Small Faces (mit Steve Mariott), dann Mariott gründet Humble Pie und die Rest-Faces werden die “The Faces” mit neuem Sänger, den keiner kennt und der noch schwarze Haare hat: Rod the Mod.
4. Juni 2018 um 18:18 Uhr
Ah genau… Dachte Small weil die das Lineup verkleinert hätten 😜. Ja, sahen alle so schön nach britischer Kohleindustrie aus.. 😂🤔
24. Juni 2018 um 16:42 Uhr
Das ist ja spannend: Dein Text wird mir weiß auf weißem Grund angezeigt, also sozusagen unsichtbar. Außer die Überschriften, die kann ich lesen.
Dieses Album dagegen ist noch heute so ein wunderbar eingängiges Ding zum einfach mal hören. Also eher nicht unsichtbar…
24. Juni 2018 um 16:44 Uhr
Hey Stepnwolf, danke für den Hinweis. Ich hatte bis gestern ein kleines CSS Problem, habe es aber behoben. Es sollte mittlerweile wieder zu sehen sein? 😊