Als wäre es gestern gewesen. Drei Wochen Griechenland. Spätsommer 2005. Mein zweiter, ernstzunehmender Pärchenurlaub. Sowas ist ja generell immer spannend. Den ersten zwei Jahre zuvor auf Korsika erfolgreich bestritten, nun also im 3er-BMW der Schwiegereltern in spe nach Südeuropa. Inklusive Fähre über die Adria. Mangels Geldes ohne Kajüte, dafür im Schlafsack auf Deck. Klingt romantisch. Ist es nicht. Aua. Erwähnte ich schon, dass der BMW bereits 320.000 Kilometer aufwies? War uns egal. Zelt und Klapptisch hinten rein und ab auf die Autobahn. Mit dem internationalen Studentenausweis kostenlos in alle Denkmäler. Und mit strammen Waden auf den Olymp. Den Discman mittels Adapter am Zigarettenanzünder angeschlossen. Die CDs fein säuberlich im Case geordnet. Wir tanzten. Aßen Oliven mit Weißbrot und Tzatziki. Und ließen die Beine aus dem offenen Seitenfenster baumeln. Mit dabei waren Maxïmo Park. Und versüßten uns den Sommer. Wir sangen nicht zu A Certain Trigger. Wir schrien.
Verrückt
In England gibt es ein klar definiertes Dreieck der Zentren populärer Musik: Liverpool, Manchester und London. Hier und da entwickeln sich kleinere Hot Spots und setzen ihr Fähnchen auf die Landkarte. Erinnern wir uns an Bristol, das in den 90ern, dank der Ursuppe des Trip-Hops (Massive Attack, Portishead), internationale Berühmtheit erlangt. In Newcastle, in der musikalischen Diaspora zwischen Manchester und schottischer Grenze, vertreibt sich Anfang der 2000er der Gitarrist Duncan Lloyd seine Zeit. Gemeinsam mit seinem Kumpel Archis Tiku, der Bass spielt, gründet er eine Band. Sie nennen sich nach einem Park in Little Havanna, Miami. Samt schicken Trema auf dem Vokal. Maxïmo Park. Keyboards und Schlagzeug besetzen die Freunde Lukas Wooler und Tom English (sic!). Im Jahr 2003 beschließen Lloyd und Tiku einen richtigen Sänger anzuheuern, da sie sich mehr auf das Songwriting konzentrieren möchten.
Die damalige Freundin von English entdeckt Paul Smith, als er Superstition von Stevie Wonder vor sich her singt. Beeindruckt berichtet sie der Band, die Smith daraufhin zum Vorsingen einlädt. Ohne zu wissen, ob er wirklich singen kann.
“When he first joined we didn’t know if he could; just that he was a lunatic jumping around in a suit, it felt like the last piece of the jigsaw” – Duncan Lloyd
Paul Smith besteht das Vorsingen und bildet ab sofort gemeinsam mit Tiku und Lloyd das Songwriting-Trio. Im Frühjahr 2004 nehmen Maxïmo Park in Lloyds Wohnung zwei Songs auf: Going Missing und Grafitti. Dank der Spende eines Freunds schaffen sie es, 300 Kopien dieser Zwei-Song-Single zu pressen, um sie auf eigenen Konzerten zu verteilen. Tatsächlich weckt die Band in ihrer Heimatstadt Aufmerksamkeit und tritt in Kontakt mit Steve Beckett vom Indie-Dance-Label Warp Records. Dieser nimmt Maxïmo Park nach einem Auftritt im Notting Hill Arts Club unter Vertrag und produziert mit ihnen ihr Debütalbum.
Rauhfasertapete im Leierkasten
A Certain Trigger erscheint im Mai 2005 und stößt damit mitten ins Herz des britischen Post-Punk- und New Wave-Revival. Der Mix aus Power Pop und kleiner Punkattitüde geht umgehend in die Beine seiner Hörer. Maxïmo Park sind auf ihrem Debüt wild, kantig aber immer tanzbar und melodiös. Paul Smith, seines Zeichens Zappelphilipp und Hutträger, unterstreicht die Songs auf der Bühne authentisch-perfekt. Dazu fällt er in Textpassagen mitunter in seinen Geordie-Dialekt, was bei manch gesungenem Wort zum Schmunzeln einlädt. “I am yung and i am losst”. Großartig. Darüber hinaus schaffen Maxïmo Park in ihrem Songwriting bewundernswertes: Sie erzeugen Bilder. Auf A Certain Trigger noch nicht so in Perfektion wie auf dem, etwas verkopften, Nachfolger Our Earthly Pleasures. Aber neben Hüpfen, Springen und Tanzen bleibt für Bilder im Kopf genug Zeit.
A Certain Trigger geht unglaublich in die Beine. Eine Rauhfasertapete, abgespielt im Leierkasten. Der Opener Signal and Sign beginnt mit einem Schlagzeug, das buchstäblich durch die Tür stolpert. Erstmal angekommen, Hallo gesagt und die Tanzhose gerichtet geht’s los. Apply Some Pressure und Grafitti pumpen und treten das Gaspedal ganz durch. Wer da noch stehen bleibt ist taub oder hat kein Gefühl. Durchzogen ist das Album von absoluten Ohrwürmern, deren Melodien noch abends beim Zähneputzen zum Mitsummen einladen. Postcards Of A Painting, I Want You To Stay, Once, A Glimpse. Höhepunkte sind die zuckersüßen Going Missing und The Coast Is Always Changing voller Lust und Freude. Fenster auf, Füße raus. Kiss You Better ist der tongewordene Abschiedskuss auf die Wange. Während der 80er-Ultravox-Gedächtnissong Acrobat nicht so recht passen mag und gegen Ende des Albums eine gänzlich andere Atmosphäre anschneidet. Wer denkt bei dem Song auch dauernd an Vienna?
Ohrgerecht
Ich hatte es immer schwer, meiner damaligen Freundin, heute Frau, neue Musik nahe zu bringen. Dabei war gerade die “Class of 2005” eine ganz besondere (unter anderem hervorragende Alben von Bloc Party, Dredg, Queens Of The Stone Age, Elbow, The Subways). Wenn ich mit was Neuem kam, lief der gemeinsame Dialog ungefähr so:
“Hier, Maxïmo Park. Richtig gut. Musst du hören!”
“Hm? Ja, okay”
“Hast du mal reingehört?”
“Wie hießen die nochmal?”
Ja, leicht hatte ich es nie. Obwohl meine Frau stets über einen guten Musikgeschmack verfügt. Und für mich ab und an Perlen auf dem Deutschlandfunk entdeckt. Zu Maxïmo Park habe ich sie genötigt. Im BMW. Mit 320.000 Kilometern. Sie konnte nicht fliehen. Keine Ausreden. Sie hat es nie bereut. Wie so vieles nicht, was ich ihr (ohrgerecht) vorsetzte. Höre ich Paul Smith, ist dieses Gefühl sofort wieder da. Sommer, Wärme, der Duft von Oliven und die einzige Sorge, dass die Karre durchhält. Once, A Glimpse.
Unnützes Kneipenwissen I: A Certain Trigger verkauft aus dem Stand 300.000 Exemplare und wird 2005 für den Mercury Prize nominiert.
Unnützes Kneipenwissen II: Going Missing ist Bestandteil des Soundtracks von Stranger Than Fiction mit Will Ferrell, Maggie Gyllenhaal und Dustin Hoffman.
Anspieltipps: Apply Some Pressure, The Coast Is Always Changing, Going Missing, Grafitti
Wenn euch die Sahneplatte gefällt, schaut doch in der Plattenkiste vorbei. Da gibt es noch weitere hervorragende Alben und spannende Geschichten.
Maxïmo Park – A Certain Trigger
Genre: | Rock |
Stil: | Indie-Rock, Post-Punk, Alternative Rock |
Jahr: | 2005 |
Anzahl Titel: | 13 |
Laufzeit: | 39:33 |
Tracklist
Signal and Sign | 2:25 |
Apply Some Pressure | 3:19 |
Graffiti | 3:05 |
Postcard of a Painting | 2:14 |
Going Missing | 3:41 |
I Want You to Stay | 3:44 |
Limassol | 3:42 |
The Coast Is Always Changing | 3:19 |
The Night I Lost My Head | 1:51 |
Once, a Glimpse | 3:03 |
Now I'm All Over the Shop | 2:23 |
Acrobat | 4:42 |
Kiss You Better | 2:05 |
8. Oktober 2018 um 7:33 Uhr
Was für eine Sahneplatte, eins der besten Alben dieser Zeit. Eine meiner schönsten Erinnerungen mit A Certain Trigger liegt übrigens erst drei Jahre zurück, als die Band auf Jubilaumtour war und einfach das komplette Album von vorne bis hinten spielte. Was für ein Abend.
Ich wünsche mir ja nichts mehr als dass es wieder so eine Welle guter Bands gibt wie Anfang/Mitte der 2000er. Das war eine tolle Zeit.
8. Oktober 2018 um 9:08 Uhr
Ja, die Hoffnung habe ich auch… Vor allem schon für meine Kinder. Ich kann für mich mit Fug und Recht behaupten, zu meiner Zeit alles gegeben zu haben… 😜😊
8. Oktober 2018 um 15:45 Uhr
Oh-ja. Hat was. Die Nummer. Der Videoschnitt. Und der überdrehte Sänger. Power Pop war das Stichwort weiter oben: Anno 79 kurz vor der Einberufung wurde zum ersten Mal dieser Begriff im Radio angewendet auf eine Band, die sich Radio Stars nannte. Einfallsloser Name, aber geile Mugge: Baffin Island, Boy meets girl, its over – blieben im Gedächtnis. Klang durchaus ähnlich diesn Maximo Parks hier.
Und das Thema “Kompromissmugge finden” in der Ehe ist ein schier endloses. Oh yeahr.
8. Oktober 2018 um 16:11 Uhr
Ein Thema für Bücher, Serien und gemeinsame Therapiesitzungen!
Radio Stars? Really??? Schlimmer wäre nur noch “The Band” oder “Super Group”… (die Recherche entfällt an dieser Stelle…) 😊
8. Oktober 2018 um 21:19 Uhr
Na “The Band” gibt es wirklich – und die waren mal lange ziemlich gut. Robbie Robertson war so was wie der Bandleader und der macht heute noch seeeeehr anspruchsvolle schöne Musi mit Messages vom allerfeinsten.
Und “Supergroup” war quasi der Zweitname von Cream (Clapton, Ginger Baker, Jack Bruce) von den alten 68ern gefeiert wie nur was. Bissl überschätzt vielleicht, aber so einiges doch ziemlich hörenswert.
Also irgendwi scheint was dran zusein, dass wenn der Bandname seeehr originell ist, meist die Mugge nicht weit reicht, weil aller Hirnschmalz schon bei der Namensfindung drauf ging und wenn der Bandname richtig blöde is, dann wird die Band Legende: Pink Floyd, Deep Purple, Yes, Talk talk, …
10. Oktober 2018 um 18:01 Uhr
Ernsthaft? Das glaube ich dir jetzt ungesehen…:) Lustige Feststellung, wobei die Spaß-Punk-Bands dann ganz weit vorne dabei sein müssten. Oder denken wir an Trio oder Ton, Steine, Scherben. 😉
9. Oktober 2018 um 9:06 Uhr
Ein wundervolles Album, wirklich auch heute noch 😊👍 bei meinem Lieblingslabel Warp erschienen, als diese sich auch mal mehr Indie Sounds widmeten. Ich habe auch nur gute Erinnerungen an diese Platte. VG
10. Oktober 2018 um 17:59 Uhr
Da sagst du was Wahres. Hab das Warp Label auch seinerzeit mit Freude beobachtet. Die hatten ein paar richtig gute Bands dabei. 🙂
10. Oktober 2018 um 18:21 Uhr
Zum Beispiel Grizzly Bear kamen kurz danach dazu. Die bei Warp hatten und haben irgendwie immer einen guten Riecher 😊👍
10. Oktober 2018 um 18:24 Uhr
Von Grizzly Bear habe ich die Shields. Da müsste ich mich nochmal mehr einhören… 😊
10. Oktober 2018 um 18:27 Uhr
Ja, mach das, die letzte Platte gehörte zu meinen Lieblingsalben 2017! Shields ist aber auch grandios 😊👍
10. Oktober 2018 um 18:30 Uhr
Danke für den Tipp!!! 😊🤘🏻