Im Herzen des Studiums. Irgendeine WG-Party. Diffuses Licht. “Milliunen” Leut’. So umschreibt es der Trierer, sobald sich mehr als zwei Leute treffen. Der Abend war in meiner Erinnerung weit fortgeschritten, viele Gespräche (begleitet von xy Bier) mit vielen lieben Leuten lagen hinter mir. Die Anlage spielt ein Lied, was mich nach knapp zehn Sekunden erst “Psst, stop kurz … ” sagen lässt und im Anschluss meine Hand zur Ohrmuschel führt. Ich sah leicht dämlich aus als ich so dastand. In der einen Hand das Bier, in der anderen die eigene Ohrmuschel. Dazu ein Blick, der komplette Unkenntnis ausdrückt, gepaart mit dem krampfhaften Abrufen der mentalen Musikbibliothek. Mein Hirn im Shazaam-Modus nach, wie gesagt, xy Bier. Der neue Freund einer sehr guten Freundin sieht mich, hat Mitleid und erlöst mich. “Nada Surf“. “Hä?”. “NADA SURF”. “Schrei doch nicht so … “. “The Way You Wear Your Head … “Let Go” heißt das Album”. Dieser Moment war bahnbrechend, er war der Auslöser für den Kauf vieler fantastischer Tonträger und den Besuch mehrerer Konzerte. Nada Surf sind eine meiner absoluten Lieblingsbands und unter den Top 5, wenn ich gute Musik empfehle. Niemand hat bis dato diese Empfehlung bereut.
“Zeitloses Meisterwerk in konsensfähiger Melancholie”
New York, 2001: Matthew Caws, Daniel Lorca und Ira Elliot gehen geregelten Jobs nach. Caws arbeitete in einem Plattenladen in Brooklyn. Lorca macht in Computerprojekte, während Elliot sich als Studiomusiker Geld dazu verdient. Bereits zehn Jahre zuvor, 1992, gründeten der wortgewandte Caws und der charismatische Lorca die Band Nada Surf und veröffentlichen zwei Alben. Besonders das Debüt “High/Low” von 1996 findet öffentlichen Anklang, entspricht es mit seinen Alternative-Klängen dem damaligen Zeitgeist. Mit “Popular” haben sie eine erste kleine Hitsingle. Zum “so richtig von der eigenen Musik leben” reicht es allerdings nicht. Verkracht mit der Plattenfirma, veröffentlicht diese ihr zweites Album “The Proximity Effect” erst gar nicht in den Vereinigten Staaten.
Im traumatisierten New York von 2001 schreiben sie, begleitet von ihren Aushilfsjobs, die Songs zu ihrem dritten Album Let Go. Dieses veröffentlichen sie im Herbst 2002 erst in Europa. In den USA erscheint es erst im Januar 2003. Warum? Bereits in ihren Anfangsjahren erspielen sich Nada Surf eine treue Fangemeinde jenseits des Atlantiks und sind vor allem in Frankreich und Benelux populär. Let Go erhält nach seiner Veröffentlichung hervorragende Kritiken, der Song “Inside Of Love” schafft es in die Charts und in diverse TV-Produktionen. Nada Surf etabliert sich in der Independent-Szene als Band mit allerhöchstem “Ohrwurm-Potenzial”.
Im Herbst 2002 herrscht im Indierock der “Garagen-Retro”. Bands verpassen ihrem Namen ein “The” als Präfix und stellen den Sound auf Lo-Fi. Es ist die Zeit von “The Strokes” oder “The White Stripes”. Nada Surf sind anders und artikulieren sich klar und eingängig. Mit Let Go erschaffen sie ein “zeitloses Meisterwerk in konsensfähiger Melancholie”. Caws ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, der den Melodien eine poetische Alltagslyrik auf den Leib schneidert. Auf Konzerten wirkt er spitzbübisch, eine perfekte Symbiose mit seinen charismatischen Bandkollegen Lorca (Bass) und Elliot (Drums). Denke ich an eine Fruchtfliege, denke ich automatisch an die Stimme von Matthew Caws.
All the leaves are brown
Wie bereits eingangs erwähnt, ich liebe Nada Surf und bin heilfroh, diese fantastische Band abseits des allgemein anerkannten Musikzirkus kennengelernt zu haben. Ich empfehle diese Band immer wenn ich nach Musik gefragt werde. Let Go ist ein gutes Album, um sich der Band zu nähern. Auch die anderen bis dato erschienenen sieben Studioalben sind empfehlenswert. Die ein oder andere Sahneplatte ist dabei. Nada Surf ist für mich die passende Untermalung des Herbsts. Der Sommer ist vorbei, die Tage werden kürzer, Zeit zum Nachdenken und nach vorne schauen.
Aus dem “neuen Freund einer guten Freundin” ist in den Jahren ein sehr guter und enger Freund geworden, dessen Meinung über Musik mir wichtig ist. Auch in diesem Blog hatte er bereits seinen “großen Auftritt” und ich hoffe, wir werden in den kommenden Jahren viele Gelegenheiten haben, uns auszutauschen. In der Zeit dürfen uns Nada Surf liebend gerne viele weitere herzerwärmende Alben schenken und unseren Alltag poetisch und melodiös bereichern.
Unnützes Kneipenwissen I: Die Popularität von Nada Surf in Europa kommt nicht zufällig. Caws und Lorca verbrachten Teile ihrer Kindheit in Frankreich und Belgien und besuchten gemeinsam das “Lycée Français” in New York.
Unnützes Kneipenwissen II: Inside Of Love wurde in einigen TV-Serien verwendet, unter anderem in einer herzzerreißenden Schlußszene einer Folge von “How I Met Your Mother” (S1E6).
… einen witzigen hab’ ich noch …
Unnützes Kneipenwissen III: Die Produktionskosten für Let Go zahlte die Band in $1- und $5-Noten. Das Geld stammte direkt aus den Merchandising-Verkäufen der Konzerte. Harte Zeiten …
Anspieltipps: The Way You Wear Your Head, Inside Of Love, Happy Kid, Fruit Fly
Höre ich dann am liebsten: sobald ich das erste braune Blatt sehe, was von einem Baum fällt
Nada Surf – Let Go
Genre: | Rock |
Stil: | Indie Rock |
Jahr: | 2002 |
Anzahl Titel: | 15 |
Laufzeit: | 53:40 |
Tracklist
Blizzard Of '77 | 2:09 |
The Way You Wear Your Head | 3:11 |
Fruit Fly | 4:34 |
Blonde On Blonde | 4:35 |
Inside Of Love | 4:58 |
Hi-Speed Soul | 4:39 |
No Quick Fix | 3:23 |
Killian's Red | 6:13 |
Là Pour Ça | 3:17 |
Happy Kid | 4:09 |
Treading Water | 4:23 |
Paper Boats | 7:09 |
Run (Bonus Track) | 4:13 |
Neither Heaven Nor Space (Bonus Track) | 4:42 |
End Credits (Bonus Track) | 3:38 |
23. Oktober 2017 um 9:36 Uhr
Vor deinem Beitrag hatte ich noch nie von der Band gehört. Jetzt läuft das Album hier und versüßt mir den Tag nach dem Konzert. Sehr schön, vielen Dank für die Empfehlung!
23. Oktober 2017 um 9:38 Uhr
Immer wieder gerne! Wenn es dir gefällt, höre auf alle Fälle auch in die anderen Alben rein… Es lohnt sich! 😊
23. Oktober 2017 um 9:39 Uhr
Da kannst du aber sowas von sicher sein! 😀
23. Oktober 2017 um 9:42 Uhr
Sehr schön! 😊😊
23. Oktober 2017 um 10:44 Uhr
Ach, wie schön, die habe ich sooo lange nicht gehört … Werde gerade etwas sentimental, denke an alte Zeiten.
23. Oktober 2017 um 11:54 Uhr
♥ Dank, Georgia! 🙂