“So, und nun?” Sicherlich eine der häufigsten Fragen, sobald das Testergebnis amtlich ist. Gefolgt von “Was machen wir denn jetzt?”, “Können wir uns das überhaupt leisten?” und, ganz profan, “Junge oder Mädchen?” Die letzte Frage ist in einem sehr frühen Stadium der Schwangerschaft besonders heiter. Blanke Panik. Ja, die erste Reaktion auf eine Schwangerschaft ist überaus vielfältig. Von heiter bis wolkig. Der eine startet umgehend die “Organisationsmaschine” (“Ich mach’ erstmal eine Liste”), der andere klammert sich löwenmutterartig an die letzten neun Monate Freiheit (“Ich geh’ erstmal was trinken”). Mein eigener Gemütszustand bei der amtlichen Bestätigung der Zwillingsschwangerschaft pendelte zwischen blanker Panik und plötzlicher Desorientierung. Immer wieder schwankte der Blick hektisch zwischen Testergebnis und den knapp 70 Quadratmetern der Zwei-Zimmer-Wohnung. Wie ein Fisch auf dem Trockenen, nach Lösungsansätzen schnappend. Wer dieses Gefühl kennt, dem empfehle ich aller herzlichst den wahnsinnig wunderbaren Film Juno. Und dazu, den besten “Schwangerschaftssoundtrack” aller Zeiten.
Pro Life
Die Rahmenhandlung von Juno ist schnell erzählt. Die junge Juno MacGuff (Ellen Page) lebt mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in Minnesota. Die 16-jährige Protagonistin ist selbstbewusst, schlagfertig und pflegt ihre Liebe zum Alternativen. Aus diesem Grund hegt sie Sympathie für ihren heimlichen Verehrer Paulie Bleeker (Michael Cera), in seiner Persönlichkeit das genaue Gegenteil von Juno: strebsam, zurückgezogen, schüchtern. Was die beiden vereint, ist die gemeinsame Liebe zur (alternativen) Musik und das Aufwachsen in der gleichen Nachbarschaft. Nachdem die beiden miteinander schlafen, entdeckt Juno, dass sie schwanger ist. Geschockt von dem Ergebnis entscheidet sie sich für den Besuch einer Abtreibungsklinik. Dieser verläuft dermaßen desillusionierend, dass sie sich gegen eine Abtreibung entscheidet und beschließt, das Kind zur Adoption freizugeben.
Über eine Kontaktanzeige lernt sie das Ehepaar Mark und Vanessa Loring (Jason Bateman, Jennifer Garner) kennen und vereinbart mit diesen die Adoption des Kindes nach der Geburt. Im Laufe der Schwangerschaft Junos zerbricht die Ehe der Lorings, da sich Mark mit zunehmender Dauer nicht bereit für die Verantwortung der Vaterrolle fühlt. Juno sagt Vanessa dennoch zu, ihr das Kind nach der Geburt zu überlassen. Sie bekennt sich zu Paulie Bleeker und die beiden beginnen eine Beziehung. Das Ende des Films spielt nach der Geburt des Kindes und zeigt Juno und Paulie an einem Sommertag, wie sie gemeinsam Gitarre spielen und ihre intakte Beziehung mit einem Kuss bekräftigen.
Zwischen Lagerfeuer und Kinderlied
Der Film thematisiert, auf eine sensible und unterhaltsame Weise, die Themen ungeplante Schwangerschaft und Selbstbestimmung. Der intelligente und schlagfertige Charakter von Juno ist Mittelpunkt der Handlung und schafft vom ersten Moment an ein hohes Maß an Sympathie und Authentizität. Besonders der Cast um die beiden kanadischen Schauspieler Ellen Page und Michael Cera ist herausragend. Zentraler Bestandteil des Lebens von Juno MacGuff, und damit des Films, ist die Musik. Um eine geeignete Auswahl an Songs zu treffen, befragte Regisseur Jason Reitman im Vorfeld der Dreharbeiten Ellen Page nach deren Meinung:
“At one point, I asked Ellen Page before we started shooting, ‘What do you think Juno listens to?’ And she said ‘The Moldy Peaches.’ She went on my computer, played the songs, and I fell in love with it.”
– Jason Reitman, 2007
Der Soundtrack von Juno ist eine wunderbare Kollektion aus klassischer Rockmusik und zeitgenössischem Indie-Folk. Zentral vertreten: Die Musik der Moldy Peaches und deren Sängerin Kimya Dawson. Gemeinsam mit ihrem Partner Adam Green veröffentlicht Dawson als Moldy Peaches einige Alben zu Beginn der 00er-Jahre. Die Songs sind minimalistisch, dafür aber umso eingängiger. Passend zum Thema des Films, schwanken die Melodien zwischen Lagerfeuer und Kinderlied. Höhepunkt des Films ist die Schlussszene, in der Juno und Paulie gemeinsam den Moldy Peaches-Song Anyone Else But You singen. Die Version begeistert Dawson, die behauptet, den Song nicht so gefühlvoll und unschuldig singen zu können, wie die beiden Schauspieler. Darüber hinaus ist der Soundtrack stimmungsvoll angereichert mit Prominenz aus dem Rock- und Indiegenre: The Kinks, Buddy Holly, Mott The Hoople, Belle & Sebastian, Sonic Youth.
Milchsäuregeruch
Die Antwort auf die Frage, “Welche Musik hört ein selbstbewusster, alternativer Teenager?” ist die größte Stärke des Films sowie des Soundtracks. Die 19 Songs sind vielfältig, erschaffen aber miteinander eine authentische Atmosphäre. Viele von ihnen dauern keine zwei Minuten und skizzieren die Gefühlswelt einer ungeplanten Schwangerschaft: Angst, Hoffnung, Freude, Tragik und Ironie. Ellen Page spielt ihr Rolle dermaßen überzeugend, dass sie 2008 für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert ist. Insgesamt ist der Film für vier Oscars nominiert und gewinnt diesen in der Kategorie “Bestes Drehbuch”. Der Soundtrack erreicht Platz #1 der amerikanischen Billboard Charts und verkauft sich, trotz der überwiegend vorherrschenden “Nischensongs”, millionenfach. Ein Jahr später erscheint ein weiterer Teil des Soundtracks mit im Film enthaltenen Songs (Juno B-Sides: Almost Adopted Songs).
Die Themen “Schwangerschaft” und “Neugeborene” begleiten in den letzten Wochen und Monaten meinen unmittelbaren Bekannten- und Freundeskreis. Es gab erfreulich viele Geburten bezaubernder Erdenbewohner. Was ich mit dem Entzücken eines Vaters aufnehme, dessen Kinder gerade anfangen Widerworte zu geben und mit Pauken und Trompeten die “Präpubertät” einläuten. Da nehme ich doch gerne Flecken auf dem Shirt oder Milchsäuregeruch in der Nase wahr. Auch wenn es den jungen Eltern an dieser Stelle nicht helfen mag und diese Worte keinen Schlafentzug oder Nervenstrapaze lindern. Dennoch freue ich mich. Weil es der richtige Weg innerhalb der Gesellschaft ist. Mit allen Höhen und Tiefen. Ganz besonders freue ich mich für zwei liebe Freundinnen. Die stellen, neben ihrer jungen Familie, in meiner Heimatregion ein Portal auf die Beine, welches Hilfe und Aktivitäten rund um das Thema Kinder bietet. Tiefe Verbeugung, großer Applaus. Vamos minimap!
Ansonsten ist dieser Beitrag für Ida, Marie, Mads, Till, Oskar und Ellis. Und alle Personen die da so drum rum schwirren.
Unnützes Kneipenwissen I: Der prominenteste Song des Soundtracks ist die Glamrock-Hymne All The Young Dudes von Mott The Hoople. Geschrieben ist der Song von David Bowie, der ihn der Band 1972 überlässt. Lou Reed bezeichnet den Song als “Hymne der Homosexualität, nach deren alle jungen Menschen auf die Straßen treten und ihren Stolz zeigen sollen.” Hauptdarstellerin Ellen Page bekennt sich 2014 zu ihrer Homosexualität und heiratet 2018 ihre Lebensgefährtin.
Unnützes Kneipenwissen II: Adam Green beginnt, genau wie seine Partnerin Kimya Dawson, nach dem Ende der Moldy Peaches 2004 eine Solokarriere. 2005 hat er mit Emily einen kleinen Hit und wird zu einem zentralen Gesicht der seinerzeitigen Indiefolk-Bewegung.
… echt jetzt? …
Unnützes Kneipenwissen III: Der Titel Superstar von Sonic Youth ist die Version eines Songs der Carpenters von 1971, die diesen wiederrum dem Original von Delaney & Bonnie aus dem Jahre 1969 entnehmen.
Unnützes Kneipenwissen IV: Für die Gänsehaut beim Hören des Titels Sea Of Love ist die amerikanische Singer/Songwriterin Cat Power verantwortlich. Das Original stammt aus dem Jahr 1959 und ist ein klassisches Rhythm & Blues-Stück des Sängers Phil Phillips.
Anspieltipps: Bitte durchhören!
Wenn euch die Sahneplatte gefällt, schaut doch in der Plattenkiste vorbei. Da gibt es noch weitere hervorragende Alben und spannende Geschichten.
Various Artists – Juno OST
Genre: | Rock |
Stil: | Indie Rock, Indie Folk |
Jahr: | 2007 |
Anzahl Titel: | 19 |
Laufzeit: | 46:42 |
Tracklist
Barry Louis Polisar – "All I Want Is You" | 2:37 |
Kimya Dawson – "My Rollercoaster" | 0:53 |
The Kinks – "A Well Respected Man" | 2:41 |
Buddy Holly – "(Ummm, Oh Yeah) Dearest" | 1:53 |
Mateo Messina – "Up the Spout" | 0:53 |
Kimya Dawson – "Tire Swing" | 3:07 |
Belle & Sebastian – "Piazza, New York Catcher" | 3:01 |
Kimya Dawson – "Loose Lips" | 2:24 |
Sonic Youth – "Superstar" | 4:06 |
Kimya Dawson – "Sleep" | 0:52 |
Belle & Sebastian – "Expectations" | 3:35 |
Mott the Hoople – "All the Young Dudes" | 3:35 |
Kimya Dawson – "So Nice So Smart" | 2:47 |
Cat Power – "Sea of Love" | 2:20 |
Kimya Dawson and Antsy Pants – "Tree Hugger" | 3:14 |
The Velvet Underground – "I'm Sticking with You" | 2:29 |
The Moldy Peaches – "Anyone Else but You" | 2:58 |
Antsy Pants – "Vampire" | 1:20 |
Michael Cera and Ellen Page – "Anyone Else but You" | 1:56 |
12. Juni 2018 um 10:11 Uhr
Ein soooooo toller Film, mit soooo toller Musik! Und so tollen Schauspielern! Alles einfach toll.
12. Juni 2018 um 10:19 Uhr
Toll, toller, am tollsten… Wirklich ein geiler soundtrack mit Künstlern, die es auch mal verdient haben… 😊❤️
30. Juni 2018 um 14:32 Uhr
Cooler Film und ebenso cooler Soundtrack. Ich glaub, ich muss den mal wieder gucken…
2. Juli 2018 um 7:42 Uhr
Unbedingt! ☝️👍